Gastkommentar

Atom-Drohungen und Friedensvisionen

(c) Peter Kufner
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Ein taktischer Einsatz von Nuklearwaffen im Ukraine-Krieg ist unwahrscheinlich. Die Atombomben-Rhetorik ist dennoch fatal.

Der Autor:

Dr. Albrecht Rothacher (* 1955 in Erlangen).
1984 bis 2020 im diplomatischen Dienst der EU, auf Posten in Wien, Tokio, Singapur und Paris, zuletzt Leitender Verwaltungsrat für die Wirtschafts- und Handelsfragen Russlands im Russland-Referat des EAD in Brüssel. Autor von „Putinomics. How the Kremlin Damages the Russian Economy” (Springer 2021).

Mit Drohungen eines Atomkriegs haben sich die Großmächte bislang aus gutem Grund zurückgehalten. Während der Kuba-Krise von 1962 ruderten Kennedy und Chruschtschow mit der Rücknahme von Mittelstreckenraketen-Stationierungen auf Kuba und in der Türkei in letzter Minute zurück. Juri Andropow versuchte 1982 die Stationierung der Pershing II und Marschflugkörper des Nato-Doppelbeschlusses gegen seine SS-20-Mittelstreckenwaffen zu verhindern, indem er durch Atom-Drohungen die sogenannte Friedensbewegung von Kommunisten und Grünen im Westen als „fünfte Kolonne“ zu beflügeln suchte. Vergebens. Ansonsten ist es nur die Kim-Dynastie in Nordkorea, die ihren Feinden im Süden, in Japan und den USA im Halbjahrestakt die atomare Vernichtung androht.

Seit dem Scheitern des geplanten Blitzkriegs vor Kiew und den wachsenden Rückschlägen an allen Fronten steigern sich Drohungen mit dem Einsatz von Nuklearwaffen in vager Form von Wladimir Putin und explizit von seinem Scharfmacher Dmitri Medwedew, dem Söldnerführer Jewgeni Prigoschin (Wagner) und dem Tschetschenen-Emir Ramsan Kadyrow: Sie repräsentieren zwar nicht Kreml-Politik, sind aber nützlich, um ausländische Reaktionen zu testen, wie das verlässliche Angstschlottern der Berliner Ampel-Helden, um sie von der Lieferung von Kampf- und Schützenpanzern abzuschrecken. Also sprach der Scholzomat: „Das sollen alle bleiben lassen“ und nannte solche Reden „inakzeptabel“ und „gefährlich für die Welt“.

USA könnten sofort zuschlagen

Als pünktlich zu Putins 70. Geburtstag ein Teil seiner für fünf Milliarden Euro gebauten Kertsch-Brücke als Versorgungsader der Krim in die Luft flog, forderte Wolodymyr Selenskij „Präventivschläge“, um russische Atomwaffeneinsätze auszuschließen. Nun stehen auch taktische Atomwaffen nicht in Panzergaragen herum. Die amerikanische Satellitenaufklärung kann selbst bei der Zeitungslektüre eines Muschiks mitlesen. Beim Bewegen der Sprengköpfe und Trägerwaffen aus Bunkern und Silos könnten die USA sofort präventiv zuschlagen, die Waffen auf den russischen Stützpunkten vor dem Abschuss explodieren lassen, die Trägerwaffen zerstören oder ihre Lenksysteme umprogrammieren.

Ohnehin ist der Einsatz von taktischen Atomwaffen in Frontnähe unwahrscheinlich, weil auch russische Soldaten und die neuerdings „russische“ Zivilbevölkerung, die beide über keinerlei ABC-Schutzausrüstungen und Dekontaminationsmittel verfügen, betroffen sein würden. Das ähnelte Giftgaseinsätzen vor Ypern 1915, als plötzlich der Wind drehte . . . Zudem verfügt das dezentral operierende ukrainische Militär über keine Truppenkonzentrationen oder zentrale Stützpunkte, die ein lohnendes Ziel abgeben würden. Insofern erstaunt die Rhetorik von Joe Biden bei einer Spendengala in New York, der beim angedrohten („kein Scherz“) Einsatz russischer taktischer Nuklearwaffen vor einem „Armageddon“ warnte, dem biblischen Endkampf zwischen Gott und den Regierungen des Bösen. Bislang hatten pensionierte US-Generäle nur die Versenkung der russischen Schwarzmeerflotte, die Zerstörung von militärischer Infrastruktur in Russland oder von Putins Palast bei Sotschi mit konventionellen Mitteln angedeutet.

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