Ukraine

"Wir wissen nicht, was morgen sein wird"

Anastasiia Hatsenko
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Anastasiia Hatsenko ist aus Kiew geflüchtet. Nun studiert sie an der Central European University. Die Zahl der ukrainischen Studierenden in Österreich ist gewachsen. Wie es ihnen hier geht und wie der Krieg ihr Leben verändert hat. Zwei Studentinnen berichten.

Ich wachte am 24. Februar auf und habe Explosionen gehört", erzählt Anastasiia Hatsenko im Gespräch mit der "Presse". "Ich habe meine Eltern gefragt, was los ist, und sie sagten: Putin hat uns gerade den Krieg erklärt ".

Dann hat sich Anastasiias Leben rasch verändert. Sie stammt aus Kiew. Ihre Familie entschied, die ukrainische Hauptstadt schnell zu verlassen. "Wir wussten, dass unser Bezirk das nächste Ziel sein könnte." Es dauerte zwölf Stunden, bis sie raus waren aus der Stadt. "Es war sehr furchterregend. Denn du hörst den Fliegeralarm und plötzlich siehst du russische Flugzeuge über dir."

Anastasiia und ihre Eltern kamen vorest bei Verwandten in der Westukraine unter. Am 4. April erhielt sie jedoch ein Mail von der Central European University, einer Privatuniversität, die 2019 von Budapest nach Wien übersiedelte. Anastasiia wurde aufgenommen und erhielt ein Stipendium. An der CEU hatte sie sich bereits im Jänner vor Kriegsbeginn für den Masterstudiengang "International Public Affairs" beworben. Denn ihren Bachelor in "Internationale Beziehungen" an der Borys-Hrintschenko-Uni in Kiew hatte sie schon in der Tasche.

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Der schwierige Weg ins Ausland

Trotz der Zusage war Anastasiia nicht sicher, ob sie das Stipendium annehmen kann. Denn aufgrund des Krieges ist es viel schwieriger geworden, ins Ausland zu gehen, um zu studieren. Benötigte Dokumente, wie eine Übersetzung der Geburtsurkunde, seien oftmals nicht zu bekommen, berichtet die Studentin. Sie fand letztendlich jedoch eine Lösung und kam Ende Mai nach Wien. Mit der Hilfe von Freunden hatte sie eine Wohnung im 17. Bezirk gefunden.

An der CEU ist die Zahl der ukrainischen Studierenden stark angestiegen, waren es 2020/2021 noch 53, sind es nun 220. Sechs Studenten helfe man zudem gerade, aus der Ukraine auszureisen, sagt Anna Maria Hirtenfelder, Sprecherin der CEU.

Genaue Zahlen zu den ukrainischen Studierenden in Österreich seit Ausbruch des Krieges gibt es dem Wissenschaftsministerium zufolge noch nicht. Im Wintersemester 2021/2022 waren es 2662. Die Zahl dürfte sich seit Beginn des Krieges jedoch deutlich erhöht haben. Der Großteil studiert in Wien, Graz und Linz. Da man an den meisten Hochschulen in Österreich über ausreichend Deutschkenntnisse (Niveau B2 bis C1) verfügen muss, sind viele ukrainische Studierende in einem ersten Schritt nur für ein außerordentliches Studium zugelassen. Ihnen stehen damit nur Lehrveranstaltungen offen, in denen es ausreichend Plätze gibt, ein Studienabschluss ist nicht möglich.

Die größte Hochschule in Österreich, die Universität Wien, besuchen zurzeit 1049 ordentlich zugelassene und 533 außerordentlich zugelassene ukrainische Studierende. Vor dem 24. Februar waren es 927 ordentlich Zugelassene.

Österreich als Sprungbrett

Auch die 19-jährige Maryna Hulbova studiert seit Kurzem in Wien. Sie kam allerdings bereits vor zwei Jahren von Chmelnyzkyj, einer Stadt im Westen der Ukraine, nach Österreich. Seit diesem Semester studiert sie an der Wirtschaftsuniversität (WU) im Bachelor Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Davor besuchte sie einen Sprachkurs und lernte Deutsch, vor allem deshalb, um hier studieren zu können. Denn für ein deutschsprachiges Studium an der WU sind Deutschkenntnisse auf Niveau C1 erforderlich. Warum sie hergekommen ist? "In Österreich gibt es mehr Möglichkeiten als in der Ukraine." Außerdem sei Studieren in Österreich sehr flexibel und nicht so teuer wie beispielsweise in den USA.

Carolina M. Frank



Als ihre Mutter am 24. Februar in der Früh anrief und erzählte, dass Kiew bombardiert wurde, konnte es Maryna kaum glauben. "Wir befinden uns zwar schon seit acht Jahren im Krieg, aber das war immer irgendwo im Donbas (Region in der Ostukraine, Anm.). Aber dass nun auch Kiew angegriffen wurde, das hat mich sehr geschockt", erzählt die Studentin. Ihre Mutter und die beiden jüngeren Brüder kamen schließlich am 1. März nach Österreich. Der Vater war als Soldat für rund sechs Monate im Osten der Ukraine im Einsatz. "Er hat mir jeden Tag geschrieben: Ich bin am Leben ", schildert Maryna.

Ihre beste Freundin ist in der Ukraine geblieben. Sie studiert in Lwiw Architektur. Das Studium dort läuft normal weiter.
Für Maryna ist das schwer vorstellbar. "Ich finde das extrem gefährlich. Der Krieg birgt immer ein gewisses Risiko." An der Borys-Hrintschenko-Universität in Kiew, die Anastasiia einst besuchte, findet der Großteil des Unterrichts wegen des Krieges übrigens online statt.

»"Wenn ich mal mein eigenes Business aufgebaut habe, könnte ich damit Arbeitsplätze in der Ukraine schaffen."«

Maryna Hulbova

Ausnahmen. Normalerweise müssen Drittstaatsangehörige pro Semester rund 730 Euro Studienbeitrag in Österreich zahlen. Ukrainische Studierende sind seit dem Sommersemester 2022 davon befreit. Die Regelung wurde auch für das Wintersemester verlängert. "Das hilft mir schon sehr", erzählt Maryna, die generell findet, hier sehr viel Unterstützung zu bekommen. Die Universitätenkonferenz hat ihre 2015 ins Leben gerufene Initiative "More" wieder aufgenommen. Flüchtenden wird damit ein niederschwelliger Zugang zu Vorlesungen, Kursen und künstlerischen Studienangeboten gewährt.
Aber auch einzelne Unis haben Initiativen gestartet. Die Universität für angewandte Kunst in Wien beispielsweise hat 50 Plätze eigens für Studierende bereitgestellt, die bereits in der Ukraine aktiv einem künstlerischen Studium nachgingen. Spezielle Anforderungen, wie ein gewisses Deutsch-Niveau, gab es dafür nicht. 32 Studierende haben dadurch einen Platz erhalten. Sie studierten vorher unter anderem auf der Kyiv National University oder der National Academy of Fine Arts and Architecture.

Rückkehr (nicht) geplant. Maryna möchte sich einmal selbstständig machen und ein eigenes "Business" aufbauen. Deshalb studiert sie Wirtschaft. Ursprünglich sei ihr Plan gewesen, in Österreich zu bleiben. Aber dann kam der Krieg. Jetzt ist sie sich nicht mehr sicher. "Mein Heimatland braucht Unterstützung und deshalb möchte ich helfen", erklärt die 19-Jährige. "Wenn ich mal mein eigenes Business aufgebaut habe, könnte ich damit Arbeitsplätze in der Ukraine schaffen, was dann gut für die ukrainische Wirtschaft ist." Aber das liegt alles in der Zukunft. Wegen ihres Studiums muss sie ohnehin noch mindestens drei Jahre in Österreich bleiben.

Anastasiias Pläne haben sich durch den Krieg hingegen nicht geändert. Sie möchte einmal für eine internationale Organisation oder das ukrainische Außenministerium arbeiten. Nach Ende des Krieges würde die Studentin gerne in ihr Land zurückkehren. Ob sie es dann schließlich auch tun wird, kann sie nicht sicher sagen. Denn: "Wir wissen heute nicht, was morgen sein wird."

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