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Liz Truss tritt zurück - bewirbt sich Boris Johnson?

Liz Truss war keine eineinhalb Monate britische Premierministerin.
Liz Truss war keine eineinhalb Monate britische Premierministerin.REUTERS
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Gefloppte Steuerpläne, Tumulte in der Fraktion: Liz Truss erklärt ihren Rückzug als Premierministerin. Die Wahl ihres Nachfolgers soll innerhalb einer Woche abgeschlossen sein. Auch Boris Johnson soll seine Chancen ausloten, berichten britische Medien.

Die britische Premierministerin Liz Truss hat am Donnerstagnachmittag vor ihrem Amtssitz, der Downing Street Nummer 10 in London, ihren Rückzug angekündigt. Es war zu diesem Zeitpunkt ihr 45. Tag im Amt. Sie habe bereits König Charles III. über ihren Rückzug informiert.

Am Vortag hatte sie im Unterhaus der Britischen Parlaments noch beteuert: "I am a fighter and not a quitter“ - in etwa: „Ich bin eine Kämpferin, keine Aufgeberin“.

Truss sei mit ihrer Vision einer Niedrigsteuer-Politik ins Amt gekommen. Sie habe erkannt, dass sie diesen Auftrag in der derzeitigen Situation nicht erfüllen ("deliver") könne. Man habe sich in der Partei geeinigt, dass die Wahl des neuen Parteichefs - und damit Premierministers - innerhalb der nächsten Woche abgeschlossen sein soll. Truss werde Premierministerin bleiben, bis ein Nachfolger feststehe, sagte sie bei ihrem kurzen Statement vor ihrem Amtssitz. „Dadurch wird sichergestellt, dass wir unsere Haushaltspläne einhalten und die wirtschaftliche Stabilität und nationale Sicherheit unseres Landes aufrechterhalten können“, sagte Truss.

Das britische Pfund wertete nach der Ankündigung auf: Der Kurs legte um knapp ein Prozent zum Dollar zu. Der britische Aktienmarkt legte ebenfalls um etwa ein Prozent zu.

Die kürzeste Amtszeit

Sollte die konservative Tory-Fraktion wie angekündigt bis Ende Oktober eine Nachfolge bestimmen, so wäre die britische Premierministerin Liz Truss mit höchstens 55 Tagen die Regierungschefin mit der kürzesten Amtszeit gewesen. Diese wäre dann zwei Monate kürzer als die des bisherigen Rekordhalters aus dem 19. Jahrhundert.

Der Tory-Politiker George Canning starb am 8. August 1827 nach 119 Tagen im Amt. Er starb an einer Lungenentzündung. Im 20. Jahrhundert war bisher Andrew Bonar Law am kürzesten im Amt. Nach nur 209 Tagen trat der Konservative aus Gesundheitsgründen im Mai 1923 zurück und starb ein halbes Jahr später an Kehlkopfkrebs.

Sunak und Mordaunt favorisiert, was macht Johnson?

Die konservative Tory-Fraktion will bis zum 31. Oktober einen neuen britischen Premierminister oder eine Premierministerin ins Amt heben. Das teilte Graham Brady, der Vorsitzende des mächtigen 1922-Komitees der Fraktion im Unterhaus, am Donnerstag in London mit. Zuvor hatte die bisherige Premierministerin Liz Truss ihren Rücktritt verkündet.

Der einwöchige parteiinterne Wahlprozess über die Truss-Nachfolge soll bereits am Freitag der nächsten Woche (28. Oktober) enden. Brady sagte, auch die Parteibasis solle in den Prozess einbezogen werden. Wie das aussehen soll, war zunächst unklar. Später am Donnerstagnachmittag wollte das Komitee weitere Details bekanntgeben. "Wir sind uns sehr bewusst über die Notwendigkeit im Sinne des nationalen Interesses, dies sehr schnell und klar zu regeln", sagte Brady.

Rishi Sunak und Penny Mordaunt, die Truss bei der letzten Wahl um den Parteivorsitz unterlegen sind, gelten nun als Anwärter für ihre Nachfolge, berichtet Sky News. Die letzten Tage und Wochen hatte es bereits Gerüchte gegeben, die beiden würden einen Deal aushandeln, um Truss aus dem Amt zu drängen. Weiterhin Außenseiterchancen hat auch Verteidigungsminister Ben Wallace.

Britische Medien berichten außerdem, dass Ex-Premierminister Boris Johnson sich erneut um das Amt bewerben möchte. Truss hatte ihn vor 45 Tagen erst abgelöst. Das berichten zumindest die „Daily Telegraph“ und die „Times“. Er sondiere die Lage und glaube, es handle sich um eine Angelegenheit nationalen Interesses, schreibt ein leitender „die „Times.

Ein weiterer möglicher Kandidat hat bereits abgewunken. Der jüngst zum Finanzminister aufgestiegene Jeremy Hunt wolle sich nicht um das Amt des Tory-Parteichefs bewerben. Hunt hatte den extremen Steuer-Kurs der Regierung nach dem Rücktritt von Finanzminister Kwasi Karteng rückgängig gemacht.

Die Premierministerin ist seit Mittwoch weiter in Bedrängnis, nachdem zuerst Innenministerin Suella Braverman zurückgetreten war und es dann bei einer Abstimmung im Parlament zu chaotischen Szenen kam. Teilweise sollen Abgeordnete eingeschüchtert und bedrängt worden sein, damit sie für die Regierung stimmen. Beobachter sprachen davon, dass es solche Szenen noch nie gegeben habe. Weitere Abgeordnete von Truss' Partei forderten einen Rücktritt der 47-Jährigen. "Ihre Position ist unhaltbar geworden", twitterte die Abgeordnete Sheryll Murray.

Truss hatte erst Anfang September die Nachfolge von Boris Johnson angetreten, der nach mehreren Skandalen und Eklats auf Druck der eigenen Partei zurückgetreten war. Doch bereits seit Mitte September kämpft Truss um ihr politisches Überleben im Amt, nachdem sie mit ihren Steuersenkungsplänen ein Fiasko an den Finanzmärkten ausgelöst hatte und sich zu einer Kehrtwende gezwungen sah. In ihrer Partei wuchs zunehmend der Unmut und Widerstand gegen sie. Umfragen zufolge liegen die Konservativen etwa 30 Prozentpunkte hinter der oppositionellen Labour Party. Beim Forschungsinstitut YouGov war Truss die unbeliebteste Regierungschefin seit dem Beginn der Erhebungen.

Die britische Zeitung „Daily Star“ - britische Medien waren zuletzt noch weniger zurückhaltend als sonst - hatte zuletzt gar die Frage gestellt: „Welcher nasse Eisbergsalat wird länger durchhalten?“ Ein Livestream zeigte einen Salat und ein Bild von Liz Truss in einem Kühlschrank. Nun feiert der Eisbergsalat mit Perücke, bunten Lichtern und einem Schild „Der Eisbergsalat hat länger durchgehalten als Liz Truss“ - zeitweise schauten über 20.000 Menschen rund um die Rücktrittsrede von Truss im Stream vorbei.

(APA)

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