Humanitäres Engagement

„Ich schäme mich nicht, die Wahrheit zu sagen“

(c) Roland Rudolph
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Die Gründerin der Initiative Yetis Bacim, Hanife Ada, hilft Frauen, aus gewalttätigen Beziehungen auszubrechen. Auch sie selbst erlebte Gewalt.

Noch bevor sie die Bühne betritt, beginnen einige im Publikum zu weinen. Sie haben gerade das kurze Video gesehen, in dem Hanife Ada und ihre Initiative Yetis Bacim vorgestellt werden. Darin ist zu sehen, wie sie Mädchen und Frauen dabei hilft, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, in einem Nebensatz erwähnt sie, dass sie selbst Opfer von Gewalt war, ihr ehemaliger Ehemann sie jahrelang schwer misshandelt hat.

Als sie schließlich auf der Bühne steht und erzählt, wie eine ihrer drei (anwesenden, in ihren Berufen höchst erfolgreichen) Töchter einst noch schnell ihr Blut vom Boden wegwischte, bevor sie sich weiter für ihre Bachelor-Prüfung vorbereitete, zieht sie die Gäste komplett in ihren Bann. Viele kämpfen mit den Tränen, andere lassen ihnen freien Lauf. „Ich habe keine Angst mehr vor den Männern, sie sollen Angst vor mir haben“, sagt die frisch gekürte Österreicherin des Jahres in der Kategorie Humanitäres Engagement und wird mit stehenden Ovationen bedacht.

»Man möchte gar nicht glauben, wie viele Frauen es gibt, die in Beziehungen voller Gewalt feststecken, die Hilfe brauchen, um vor ihren Männern zu fliehen.«

Hanife Ada, Gründerin der Initiative Yetis Bacim



Bei ihrer Rückkehr an ihren Tisch wird sie regelrecht belagert von Personen, die sich bei ihr bedanken und sie umarmen wollen. Viele bieten spontan Hilfe an und stellen in Aussicht, ihre Initiative künftig finanziell unterstützen zu wollen. Die Österreichischen Lotterien beispielsweise, langjähriger Partner der Austria-Gala, bitten sie um eine Kontonummer, um ihr unverzüglich jene 4200 Euro zu überweisen, die sie – wie sie auf der Bühne erzählte – dringend für einen Rollstuhl für eine Frau aus der Türkei braucht. Sie wurde von ihrem Mann aus dem Fenster im vierten Stock geworfen. Ein junger Mann drückt ihr ein paar Geldscheine in die Hand. Er habe sie vorhin auf dem Boden gefunden und wolle, dass sie das Geld bekommt. „Schicksal“, sagt er noch. „Für meine Frauen kann ich jeden Euro brauchen“, erwidert Ada. „Das Preisgeld von 10.000 Euro habe ich schon mehreren Frauen versprochen.“

Es vergeht nämlich kaum ein Tag, an dem ihr Smartphone nicht vibriert und auf seinem Display eine neue, unbekannte Nummer erscheint. Manchmal sind es auch schriftliche Nachrichten, die sie erreichen. Von Fremden, die ihre Kontaktdaten im Internet gefunden haben. Oder von Fremden, denen geraten wurde, sich bei ihr zu melden. Und egal, wer sich meldet, die Reaktion der gebürtigen Türkin, die im Alter von sechs Jahren nach Österreich kam, bleibt stets die gleiche: Sie hebt ab. Antwortet. Macht sich auf den Weg.

„Ich bin rund um die Uhr erreichbar“, sagt Ada. „Und oft bin ich die ganze Nacht lang unterwegs.“ Der Grund für ihre Umtriebigkeit: „Man möchte gar nicht glauben, wie viele Frauen es gibt, die in Beziehungen voller Gewalt feststecken, die Hilfe brauchen, um vor ihren Männern zu fliehen.“ Ada, die in Groß-Enzersdorf wohnt, sollte mit 14 Jahren ihren Cousin ehelichen. Um der Zwangsheirat zu entgehen, gab sie einem 18-Jährigen, den sie kurz davor in einer Wiener Straßenbahn kennengelernt hatte, das Jawort. „Ich war in ihn verliebt, bald aber hatte ich nur noch Angst“, sagt sie. Denn er schlägt sie. Viele Jahre lang.

Nur langsam lernt Ada, ihm auszuweichen. „Ich dolmetschte, eröffnete eine Boutique, wurde Geschäftsführerin bei McDonald's“, zählt sie auf. Die Trennung aber gelingt nicht. „Ich hoffte, dass jemand ihn anzeigt, ich traute mich nicht, er drohte mit dem Tod unserer Kinder.“ Fast wäre es ihr eigener geworden: Vor zehn Jahren packte sie ein maskierter Mann, schlug auf sie ein und ließ sie in ihrem Blut liegen. „Es sollte wie ein Raubüberfall aussehen, aber ich erkannte ihn – trotzdem kam er davon.“ Vor Gericht stand Aussage gegen Aussage. Mittlerweile ist Ada geschieden, bekommt eine Invalidenpension. „Meine vier Kinder haben mir verziehen, führen ein selbstständiges Leben.“ Damit sich ihre Geschichte nicht ständig wiederholt, hilft sie anderen.

Neben Ada wurde auch Marina Sorgo, Gründerin des ersten Gewaltschutzzentrums Österreichs sowie Vorsitzende des Bundesverbands der Gewaltschutzzentren, prämiert. Außerdem auf dem Stockerl gelandet ist Tanja Maier, die mit ihrem Verein Cards for Ukraine täglich Tausende Familien mit Essen versorgt und für zahlreiche ukrainische Flüchtlinge zur inoffiziellen ersten Anlaufstelle in Österreich geworden ist. Auch sie bekommen jeweils 10.000 Euro, zur Verfügung gestellt von allen Partnern der Austria-Gala. Denn die Kategorie Humanitäres Engagement ist nicht nur die einzige, deren Gewinner ausschließlich von Lesern und Usern der „Presse“ bestimmt werden, sondern auch die einzige, die dotiert ist.

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