Klimainitiative

Von wegen fünf vor zwölf: „Es ist längst High Noon!“

(c) Mirjam Reither
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Der Gletscherforscher Georg Kaser wird Österreicher des Jahres in der Kategorie Klimainitiative. Er fordert einen Systemwechsel statt kleiner Korrekturen.

Seine Welt sind die Berge. Aber Georg Kaser fühlt sich sichtlich auch in den Wiener Sofiensälen wohl. „Noch nie habe ich so viele Entscheidungsträger zu meinen Füßen sitzen gehabt“, sagt der Glaziologe, nachdem er am Mittwochabend für seine jahrzehntelangen Erfolge in der Klimaforschung zum Österreicher des Jahres gekürt wurde. Und diesen Umstand weiß der gebürtige Südtiroler gut zu nutzen: „Wir stecken in einer Krise, die knapp davor ist, zur Katastrophe zu werden.“ Die Menschheit müsse ihre Emissionen in nur acht Jahren halbieren und bis 2050 auf netto null reduzieren, um das zu verhindern. „Bitte helfen Sie mit!“, appelliert der „Ungemütliche“, wie sich Kaser selbst bezeichnet.

Der 1953 in Meran geborene Alpinist weiß, wovon er spricht. Seit er sich in jungen Jahren gegen eine Karriere als Bergsteiger entschieden hat, erforscht er, wie die Erderwärmung den Rückzug der Gletscher beschleunigt, zuletzt am Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Uni Innsbruck. Die Ergebnisse sind ernüchternd: Die Masse der rund 200.000 Gletscher nimmt stetig ab. Für 70 Prozent des Rückgangs ist der Mensch verantwortlich. „Unsere Gletscher sind leider verloren. Wir können sie nicht mehr retten“, konstatierte Kaser bereits vor wenigen Jahren. „80 Prozent der Masse der Alpengletscher sind dem Tod geweiht.“ Am genauesten vermessen hat er gemeinsam mit seinen Innsbrucker Kollegen wohl den im hinteren Ötztal gelegenen Gletscher Hintereisferner.

»Wir stecken in einer Krise, die knapp davor ist, zur Katastrophe zu werden. Bitte helfen Sie mit, um das zu verhindern.
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Georg Kaser, Glaziologe an der Uni Innsbruck

Aber Kaser war nicht nur in Österreich jahrelang „acht Monate im Jahr auf dem Berg“. Er erforschte auch die vereisten Regionen im Hochgebirge Südamerikas und Ostafrikas und habilitierte über Gletscher in den Tropen. Während der Gletscherschwund in den Alpen keine großen Auswirkungen auf die Menschen haben wird, ist das dort – wie auch in Zentralasien – ganz anders. Hier sind die gewaltigen Eismassen ein wichtiges Wasserreservoir für Mensch und Natur. Verschwindet es, droht in diesen Regionen ernsthafter Wassermangel. In seiner Forschung hat Kaser nicht nur die steigenden Temperaturen auf dem Planeten im Blick, sondern auch wechselnde Feuchtigkeitsmuster, die ebenfalls ihre Spuren im nicht ganz so „ewigen Eis“ hinterlassen. Sein Expertentum in diesem Bereich ist unbestritten, was ihm letztlich eine Einladung in die Elite der Klimawissenschaft verschafft hat. Georg Kaser wurde 2003 vom IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) eingeladen, als erster Österreicher an den IPCC-Sachstandsberichten mitzuarbeiten.

Der Sonderbericht, an dem er mitwirkte, war der erste in der jahrzehntelangen Geschichte des Klimarats, in dem die Gebirge ein eigenes Kapitel bekommen haben. Aber Kaser versteckt sich nicht nur in der akademischen Welt, sondern sucht auch den notwendigen Diskurs mit der Öffentlichkeit. Zuletzt war er im wissenschaftlichen Beirat des Klimarats und hat die Mitglieder eines Bürgerrats beraten, dessen Gründung auf das Klimavolksbegehren zurückgeht.
In dieser Funktion ist der Forscher vor allem Übersetzer und versucht, die Erkenntnisse der Wissenschaft für Laien verständlich zu machen, damit diese, wie auch die Politiker, eine fundierte Entscheidungsgrundlage haben. Die Frage, wie man den Menschen die Dringlichkeit verständlich macht, ohne sie in Panik zu versetzen, beschäftigt ihn schon lang. „Ich habe irgendwann beschlossen, nur noch die Wahrheit zu sagen.“ Die 90 Empfehlungen des Klimarats lobte er ausdrücklich. Die Bürgerinnen und Bürger hätten der Wissenschaft gezeigt, dass die Bevölkerung beim Klimaschutz um vieles weitergehen würde als angenommen.

Bei vielen Entscheidungsträgern sei das noch nicht angekommen. „Es ist nicht mehr fünf vor zwölf, es ist längst High Noon“, sagt Kaser. In den nächsten fünf bis acht Jahren entscheide sich, ob die Menschheit die Erwärmung auf ein erträgliches Maß eindämmen könne. Die Antworten, wie das geschehen könnte, lägen seit Jahren auf dem Tisch, sagt er verwundert über die Untätigkeit der Politik. Die Kinder von heute würden in 40 Jahren in jedem Fall in einer ganz anderen Welt leben als heute. Damit sie auch noch lebenswert ist, müsste aber rasch etwas passieren. Die CO2-Emissionen müssen in den kommenden acht Jahren um 43 Prozent sinken und dann in Richtung null gehen.

Von Österreich fordert er mehr als das. „Wir sind extrem wohlhabend.“ In vielen anderen Ländern würde eine solche Reduktion große Rückschritte in Richtung Armut bedeuten. „Österreich muss viel, viel mehr stemmen.“ Ob das passiert, will Kaser auch in Zukunft genau im Auge behalten: „Ich werde ungemütlich bleiben.“

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