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Eine getreue blau-gelbe ORF-Chronik

Kral Verlag
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„Schmankerln“ zu 100 Jahren Niederösterreich.

Der berühmteste Niederösterreicher? Auf diese Frage wird eine ganze Generation sicher „Leopold Figl“ antworten. Eventuell dann noch „Franz Kardinal König“ oder „Alois Mock“. Ob die heutige Führungsgarnitur im Bund und Land je dazu gezählt werden wird?

Dies zu beurteilen ist aber auch nicht die Aufgabe einer beeindruckenden Niederösterreich-Chronik, die vier Redakteure der ORF-Landesstudios gestaltet haben. Der Anlass ist leicht nachzuvollziehen: Seit 1922 besteht NÖ als eigenes Bundesland – nach der gütlichen Trennung von Wien. Und so werden diese hundert Jahre getreulich nachgezeichnet, mit respektheischendem Bildmaterial aus dem Filmfundus des ORF. Zeitzeugen kommen zu Wort, Historiker erzählen von den Jahren des mühsamen Wiederaufbaus nach 1945. Und für jedes Jahr haben die Autoren ein markantes Ereignis beschrieben – so etwa die Inbetriebnahme des Donaukraftwerks Ybbs-Persenbeug im Jahr 1959. Seit den Zwanzigerjahren wurde geplant, nun endlich konnten die sechs riesigen Kaplanturbinen die – heute wie damals – so dringend benötigte Energie liefern. 1,3 Millionen Megawattstunden sind es pro Jahr.

„Gastarbeiter“ werden ins Land geholt, so ab 1964. Aber die Rechnung von damals geht nicht auf. Die fleißigen Türken bleiben und holen ihre Familien ins reiche Österreich nach. Das Plakat ist legendär: Der kleine Bub in Lederhose fragt den baumlangen Ausländer: „I haaß Kolaric, du haaßt Kolaric. Warum sagen s' zu dir Tschusch?“

1967 wird das heruntergekommene Renaissanceschloss Schallaburg vom Land dem Bund abgekauft und bis 1974 prachtvoll restauriert. Vierzig Millionen Schilling hat dieses größte kulturhistorische Vorhaben gekostet. Zur ersten Landesausstellung kommen 320.000Besucher.

1984 steht natürlich unter dem Eindruck der Proteste gegen den Bau eines weiteren Donaukraftwerks, diesmal in der Stopfenreuther Au bei Hainburg. „Die Presse“ vertrat damals den Standpunkt der Energiewirtschaft – es sollte aber nicht sein. Der Eigentümer der „Kronen-Zeitung“ schloss sich den prominenten Protestierern an, sein Motiv blieb zeitlebens geheim. Die Grünbewegten jubelten, fanden sich zu einer eigenen Partei zusammen. Heute sind sie ein 13,9-Prozent-Juniorpartner in der ÖVP-dominierten Bundesregierung.

Und zwei Jahre später ist es so weit: Was Landeshauptmann Siegfried Ludwig als belächeltes Projekt betreibt, wird in einer Volksbefragung Realität: Das Land bekommt ein eigenes Regierungsviertel vom Reißbrett, und zwar in Sankt Pölten! Bis zur Verwirklichung dauert es zwar noch bis 1996, aber es wird eines der wenigen Großbauvorhaben Österreichs ohne Budgetüberschreitung, ohne jegliche Korruption. Ludwig und sein Nachfolger, Erwin Pröll, haben sich derart ins blaugelbe Geschichtsbuch eingeschrieben.

1994 wird auf der steirischen Seite des Semmerings mit ersten Sondierungen für ein Megaprojekt begonnen: Der Bau eines Bahntunnels zwischen Gloggnitz und Mürzzuschlag wird bis 2030 dauern. Oder noch länger. Dass der Wahlsieg der ÖVP-Politikerin Mikl-Leitner auf jeden Fall das prägende Ereignis des Jahres 2017 gewesen sein soll, das lässt sich aus der Sicht eines Landesstudios nachvollziehen. Man nickt verständnisvoll. Im Frühjahr wird gewählt.

Veronika Berger, Reinhard Linke, Christian Postl, Stefan Schwarzwald:
„100 Jahre Niederösterreich“
Kral Verlag, 221 Seiten, 29,90 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2022)

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