Unterwegs

Zeitreise Paris

Vom Rollkragenpulli der Existenzialisten in den Business-Stechschritt.

Mit 20 war es wichtig, mit dem Nachtzug nach Paris zu reisen, bei der Einfahrt in die Stadt die Graffito-Kunstwerke zu bewundern. Bei erster Gelegenheit in einem Café an bitterer schwarzer Brühe zu nippen, eine filterlose Gitanes zu entflammen und die so empfundene Romantik der existenzialistischen Lebensanschauung tief zu inhalieren.

Jahrzehnte später, auf einem quicken Paris-Trip zwecks Messebesuch, könnten sich die Dinge nicht tiefer in den Kontrast gedreht haben. Vom Airport-Gate am Charles-de-Gaulle im Business-Stechschritt zum Shuttle, den ein Fahrer wie Ben Hur Richtung Zentrum peitscht, dabei Unlust signalisierend, sich auf das halbgare Französisch der Passagiere einzulassen. Die langen Kolonnen auf der Randspur, in denen sogar die Rollerfahrer geduldig warten, anstatt wie üblich todesverachtend vorbeizupreschen, kann man sich auch so erklären – sie münden in Tankstellen, die den Sprit ausschenken als wäre es Grand Cru. War einem die Existenz von Raffineriearbeitern bislang nicht so wirklich bewusst – nun, auch diese Berufsgruppe fordert mehr Lohn. Arbeitskämpfe können in Frankreich schnell ungemütlich werden. Als die Regierung den Dieselpreis erhöhen wollte, bekam sie Gelbwesten und brennende Barrikaden. Der Präsident besucht die Automesse und predigt Wasserstoff und Elektro.

Statt bei Sartre oder Camus ist man heute auf Facebook oder TikTok. Auf Gitanes kann ich schon lang verzichten. Aber wo ist die Zeit hin, die man noch ohne Bildschirm genüsslich verschwenden konnte?

timo.volker@diepresse.com


Nächste Woche: Karl Gaulhofer

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