Frauenleiden

Chronischer Scheidenpilz – nicht der Rede wert?

Über eine Vielzahl von Krankheiten, die ausschließlich oder vorwiegend Frauen betreffen, wird kaum gesprochen – weder im privaten Rahmen noch im wissenschaftlichen Kontext.
Über eine Vielzahl von Krankheiten, die ausschließlich oder vorwiegend Frauen betreffen, wird kaum gesprochen – weder im privaten Rahmen noch im wissenschaftlichen Kontext. (c) imago
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Klagen Frauen über Schmerzen, werden sie sehr oft als überempfindlich abgetan. Die Medizin ist noch immer männlich dominiert. Eine der Folgen: Rund 150 Millionen Frauen leiden an chronischem Scheidenpilz – doch kaum eine spricht darüber.

Über eine Vielzahl von Krankheiten, die ausschließlich oder vorwiegend Frauen betreffen, wird kaum gesprochen – weder im privaten Rahmen noch im wissenschaftlichen Kontext. Zum einen, weil sie die intimsten Bereiche des Frauseins betreffen, wie eine Depression, Endometriose oder Vaginalpilz, und die Scham, sie offenzulegen, entsprechend groß ist. Zum anderen, weil die Möglichkeiten, Symptome und Ursachen zu behandeln oder zu heilen, äußert überschaubar sind – sofern überhaupt vorhanden.

„Es ist eine fatale Spirale“, sagt Marion Noe. „Weil niemand über diese Erkrankungen spricht, weiß kaum jemand, dass sie existieren.“ So entstehe kein Bewusstsein über den Therapiebedarf, die Forschung unternehme keine Anstrengungen, den Leiden zu begegnen, kritisiert die Frauenärztin. Und: „Betroffene schweigen, da sie sich einreden, es sei alles halb so schlimm, sie seien selbst schuld und müssten leiden oder bildeten sich bloß etwas ein.“

Langsam, so Noe, ändere sich etwas. „Aber wirklich sehr langsam.“ Warum? Zum einen, weil sich dieselben Krankheiten bei Männern und Frauen unterschiedlich äußern können und dafür das Bewusstsein fehle. Zum anderen, „weil die Medizin immer noch männlich dominiert ist und weil vielen dieser Männer die Bedeutung vieler Frauenleiden einfach nicht klar ist“. Ein Umstand, der wohl in der Geschichte gegründet ist: „Wenn Frauen über Beschwerden klagten, galten sie schnell als hysterisch, weil Männer ihre Schmerzen nicht nachvollziehen konnten und sich deshalb überfordert fühlten“, sagt Noe.


Mehr Angst und Abnutzung. Während gewisse Untersuchungen früher untersagt waren, woraus ein zusätzliches Unwissen über die biologischen Unterschiede herrührte, stellen Mann und Frau sowie ihr Inneres heute kein Mysterium mehr dar. Nach wie vor allerdings bestehen Unausgewogenheiten hinsichtlich des Auftretens gewisser Beschwerden und des Umgangs damit. So zeigen Statistiken, dass Frauen öfter an Depressionen und Angststörungen leiden als Männer sowie an Krankheiten, die im weitesten Sinn mit Abnützung zu tun haben wie Osteoporose, Muskeldegeneration und rheumatische Beschwerden.

Gleiches gilt Noe zufolge für Autoimmunerkrankungen, zum Beispiel Hashimoto-Thyreoiditis. Dahinter verbirgt sich eine chronische Entzündung, die die häufigste Ursache für eine Unterfunktion der Schilddrüse darstellt – und Frauen zehnmal öfter betrifft als Männer. „Warum das so ist, wissen wir leider nicht, weil Frauen in der Medizin stets vernachlässigt wurden und immer noch werden“, sagt die Kärntnerin.

Das Start-up ProFem der Gynäkologin Marion Noe hat sich auf die Entwicklung von Medikamenten zur Behandlung von Frauenkrankheiten spezialisiert.
Das Start-up ProFem der Gynäkologin Marion Noe hat sich auf die Entwicklung von Medikamenten zur Behandlung von Frauenkrankheiten spezialisiert. (c) Carolina M. Frank

Ein Befund, den Elinor Cleghorn teilt. Frauen, die chronische Schmerzen haben, würden weniger ernst genommen als Männer, schreibt die Kulturhistorikerin in ihrem eben erschienenen Buch „Die kranke Frau – Wie Sexismus, Mythen und Fehldiagnosen die Medizin bis heute beeinflussen“. Mehr noch: Oft stünden sie allein da, verschrien als überempfindlich. Die Konsequenz: Ihnen würden weit öfter Beruhigungsmittel und Antidepressiva verordnet als Männern, während Krankheiten, die nur das weibliche Geschlecht betreffen, in der Forschung oft gleich außen vor gelassen werden, so das Ergebnis ihrer Spurensuche.

Die Ursprünge dieser Schieflage macht Cleghorn in den gesellschaftlichen Normen aus. „Was Politik, Besitz und Bildung angeht, wurde Frauen von Anfang an eine untergeordnete Stellung zugeschrieben“, meint sie und schlussfolgert: „Unter genau diesen Bedingungen hat sich die moderne Medizin im Laufe der Jahrhunderte als Beruf, Institution und wissenschaftliches Fachgebiet entwickelt.“ So lasse sich die männliche Dominanz bis in die griechische Antike zurückverfolgen, als der Frauenkörper wegen seiner Anatomie als „medizinisch fehlerhaft, unvollkommen und ungenügend“ erachtet wurde. Zugestanden wurde Frauen lediglich, ein für die Fortpflanzung wesentliches Organ zu besitzen: die Gebärmutter.


Hysterie. Ein Umstand, der ihnen den Ruf einbrachte, „hysterisch“ zu sein – zunächst im Wortsinn, leitet sich die Hysterie doch vom griechischen „hystera“ für Gebärmutter ab. Zudem wurden Schmerzen, Schwindel oder Krämpfe, deren Ursache sich der Arzt nicht erklären konnte, fortan konsequent dem Uterus zugeschrieben. Dieser wandere im Körper umher und sorge für die Gefühlsausbrüche der Betroffenen, lautete eine Erklärung, die im Mittelalter zu einem Grundpfeiler der Hexenverfolgungen werden sollte. „Hysterische“ Frauen seien vom Teufel besessen, hieß es; zahllose Frauen wurden deswegen auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Noch heute, so Cleghorn weiter, werden die Schmerzen, über die eine Frau klagt, „eher auf eine emotionale oder psychische als auf eine körperliche oder biologische Ursache zurückgeführt“. Ein Beispiel für diese Schieflage sei sie selbst: „Aus mir wurde vor zehn Jahren eine ,unpässliche Frau‘“, schildert sie. Sieben Jahre lang sei sie oft krank gewesen, ihre Symptome seien jedoch von Allgemeinmedizinern wie Spezialisten meist abgetan worden. Seit Oktober 2010 steht fest: Sie leidet an Lupus erythematodes, einer chronischen Autoimmunerkrankung.


Chronische Leiden. Mit diesen sieben Jahren des Wartens auf eine Diagnose ist die Autorin kein Einzelfall. „Frauen gehen zwar in der Regel früher und öfter zum Arzt als Männer, warten aber länger auf eine Diagnose“, sagt Gynäkologin Noe. Nicht nur bei Autoimmunkrankheiten, sondern vor allem bei solchen, die mit ihren Geschlechtsorganen zu tun haben, darunter chronische Scheidenpilzinfektionen, vaginale Trockenheit oder Endometriose.

Aus Unzufriedenheit über diesen Status quo hat Noe 2012 das Start-up ProFem gegründet. „Mir saßen zu oft Patientinnen gegenüber, denen ich mit den verfügbaren Mitteln nicht helfen konnte.“ Viele kamen wegen eines chronischen Scheidenpilzes, einer der häufigsten und schmerzhaftesten Frauenkrankheiten weltweit. „Die Entzündung macht sich durch ein sehr starkes Jucken, Brennen oder Wundgefühl bemerkbar, manchmal so stark, als hätte man eine offene Wunde zwischen den Beinen“, sagt die Fachärztin. Rund 75 Prozent aller Frauen erleben im Laufe ihres Lebens eine solche Infektion. Bei fünf Prozent aller Frauen, umgerechnet 150 Millionen Menschen, entwickle sich ein langwieriger Verlauf mit häufigen Rückfällen. Zum Vergleich: Im Durchschnitt erkrankt einer von zehn Männern an einer Pilzinfektion, wobei die meisten unbemerkt bleiben, da sie asymptomatisch verlaufen.

„Eine sporadisch auftretende Episode lässt sich mit den verfügbaren Mitteln gut therapieren“, so die Gynäkologin. „Auch wenn sich die Rückfälle auf einmal innerhalb von ein paar Jahren beschränken, ist es kein Problem. Wenn sich jedoch die Intervalle zwischen den akuten Episoden auf alle paar Monate, Wochen oder Tage reduzieren, bringt die Standardtherapie meist keine Abhilfe mehr.“ Stattdessen beginne ein chronisches Leiden.

2023 könnte sich das ändern. „Wir sind in der finalen Testphase unseres Medikaments, das Scheidenpilz dauerhaft beseitigen soll“, sagt Noe. Die Idee dazu hatte sie, als sie sich mit einem anderen häufigen Frauenleiden auseinandersetzte, der Endometriose. Gebärmutterschleimhautzellen siedeln sich hierbei außerhalb der Gebärmutter an, bleiben haften und bilden schmerzhafte Verwachsungen.


Neue Mischung. Auch bei einer Pilzinfektion kommt es stark auf die Anheftung an. „Es gibt Pilzmittel und Adhäsionshemmer, aber keine Kombination – also stellte ich eine solche her.“ Die fertige Salbe probierte Noe an ihrer Tochter aus: „Sie war damals noch ein Baby und litt an hartnäckigem Windelsoor, einer Infektion mit dem Hefepilz Candida albicans, die durch das feuchtwarme Milieu in einer Windel begünstigt wird.“ Am nächsten Tag war der Ausschlag verschwunden.

Fortan verfeinerte die Ärztin die Rezeptur von „Candiplus“. Aktuell läuft die dritte klinische Studie, an der 430 Patientinnen in Österreich, der Slowakei und Polen beteiligt sind. „Wir wollten 2021 fertig sein, doch die Pandemie hat viel verzögert“, räumt Noe ein. Nun könne man „endlich darüber reden“. Denn: „Frauenleiden müssen enttabuisiert werden – im privaten Rahmen und im wissenschaftlichen Bereich.“

Intime Fakten

75 Prozent der Frauen leiden einmal im Leben an einer Vaginalmykose. In 90 Prozent der Fälle geht die Infektion auf den Pilz Candida albicans zurück.

Auslöser der Akutinfektion ist ein Ungleichgewicht in der Scheidenflora (z. B. wegen Stress, falscher Intimhygiene, synthetischer Unterwäsche).

Folge sind Juckreiz, Rötungen, ein bröckeliger Ausfluss, Brennen. Hinzu kommen psychische Belastungen.

Therapiert wird meist mit Zäpfchen, Tabletten und Cremes (Antimykotika).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2022)

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