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Im Gespräch

Große Musik fast rund um die Uhr

Musikvereinsintendant Michael Nemeth präsentiert in der kommenden Saison prominente Künstler wie Sopranistin Sabine Devieilhe.
Musikvereinsintendant Michael Nemeth präsentiert in der kommenden Saison prominente Künstler wie Sopranistin Sabine Devieilhe.(c) Oskar Schmidt, Anna Dabrowska
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Im Gespräch. Intendant Michael Nemeth über die Konzertsaison 2022/23 im Musikverein Graz: mit Stars von heute und morgen, Debüts, Abschieden – und vielen Überraschungen.

Die Saison 2022/23 steht unter dem Motto „Begegnungen“ – gibt es in Ihrer eigenen Biographie musikalische Begegnungen, die Sie besonders geprägt haben?

Da fällt mir die Auswahl schwer, da mein Vater Operndirektor in Graz war und ich schon als Kleinkind starke Eindrücke empfangen habe. Später bin ich als Statist mit Franco Bonisolli in Verdis „Forza del destino“ auf der Bühne gestanden. Im Konzertsaal hat mich Anton Bruckner früh fasziniert. Aus Anlass seines 200. Geburtstags 2024 beginnen wir übrigens jetzt schon mit einem Symphonien-Zyklus und betten die Werke in ihren historischen Kontext sowie die Moderne ein. Als Intendant blicke ich mittlerweile auf 14 Spielzeiten mit weit über 900 Veranstaltungen zurück. In dieser Zeit waren es nicht zuletzt die Auftritte von Cecilia Bartoli, dazu etliche Konzerte besonders in unserer Jubiläumssaison, als wir 2014 200 Jahre Musikverein für Steiermark feiern konnten: Mahlers Achte mit fast 500 Mitwirkenden; das Gastspiel des Concertgebouw-Orchesters unter Mariss Jansons oder die letzten Auftritte des gesundheitlich schon schwer gezeichneten Nikolaus Harnoncourt, der am Pult plötzlich 30 Jahre jünger wurde. Unter vielen anderen Erlebnissen gilt es auch unseren konzertanten „Nabucco“ mit Plácido Domingo vom vergangenen Juni zu nennen: Nicht nur seine Person, die Frische und Liebe zur Musik, die er verbreitet hat und seine Energie, die aufs Publikum übergesprungen ist, haben mir höchsten Respekt abgenötigt, sondern die ganze Aufführung.

Blicken wir auf die anstehenden Debüts: Von welchen versprechen Sie sich am meisten?

Das ist schwer zu beantworten, zumal auch viele wiederholt bei uns auftretende Künstler immer wieder aufs Neue überraschen – nicht zuletzt die Grazer Philharmoniker unter ihrem Chefdirigenten Roland Kluttig oder unter Emmanuel Tjeknavorian; die Wiener Symphoniker, die mit Pablo Heras-Casado kommen; das RSO Wien unter Markus Poschner.
Aber wenn Sie mich so fragen: Der Pianist Igor Levit ist mit Brahms, Wagner und Liszt sicher einer der spannendsten Debütanten, dann die französische Sopranistin Sabine Devieilhe, die nach vielen Corona-Verschiebungen endlich zu uns kommen kann und eine Hommage an Wien singt. Den aus Montenegro stammenden Gitarristen Miloš nicht zu vergessen, der Rodrigos wunderbares „Concierto de Aranjuez“ spielt, eingebettet in ein spanisches Programm mit Musik von Ravel und de Falla. Außerdem gibt es einen Debütantenreigen in unserer konzertanten „Fledermaus“ (siehe Randspalte). Und last, but not least ist in dieser Kategorie Riccardo Muti zu erwähnen, was nahezu kurios wirkt. Aber dass er mit den Wiener Philharmonikern für Musik von Mozart, Hindemith und Mendelssohn erstmals nach Graz kommt, obwohl er sonst außer in Italien praktisch nur mehr in Chicago, Wien und Salzburg zu erleben ist, erfüllt uns mit besonderem Stolz und Vorfreude.

Bei wem hat es länger gedauert, bis eine Wiederbegegnung möglich war?

Da muss ich das Emerson String Quartet erwähnen, bei dem leider klar ist, dass es zugleich der letzte Graz-Auftritt sein wird, weil das Ensemble nämlich seine Abschiedstournee durch Europa unternimmt. Außerdem den famosen Daniil Trifonov, der sich als Künstler lieber rar macht, anstatt inflationär Konzerte zu geben. Auch Martin Grubinger war nie so ganz einfach zu gewinnen, der noch dazu ebenfalls seinen Abschied nehmen will: Ich kann und will das immer noch nicht so recht glauben. Semyon Bychkov zählt gleichfalls zu jenen viel beschäftigten Großen, die man nicht automatisch in jeder Saison zu Gast haben kann. Am Pult der Tschechischen Philharmonie und mit Mahlers Sechster ist ganz gewiss ein Saisonhöhepunkt zu erwarten.

Pianist Igor Levit (l.) und Dirigent Riccardo Muti
Pianist Igor Levit (l.) und Dirigent Riccardo Muti(c) Dieter Nagl, Felix Broede

„Das Publikum“ sagt sich leicht: Mit wem haben Sie es zu tun, wie verlocken Sie die Menschen?

Das Kaufverhalten verändert sich, die Kurzentschlossenen werden mehr. Dabei haben wir seit 208 Jahren eine erhebliche Verlässlichkeit durch unser Mitglieder- und Abo-System. Darauf wollen und können wir uns aber nicht verlassen, sondern starten sogar eine große Abo-Kampagne. Wir bieten ja beileibe nicht nur das klassische Spartenabo an, so schön es ist – also zum Beispiel: zehn Orchesterkonzerte immer montags. Stattdessen wollen wir mit Flexibilität punkten, lassen etwa fünf aus zehn Abenden auswählen, gewähren 30 Prozent Nachlass auf drei Konzerte zum Kennenlernen und ähnliches mehr. Zudem bieten wir ein Wahlabo an. So wollen wir auf individuelle Bedürfnisse eingehen und gleichzeitig das unerlässliche Abo-Prinzip zukunftstauglich erhalten, es in frischerer Art weiterführen. Das Abonnement ist ein Kulturgut für sich, eine wunderbare Tradition und ein Aushängeschild der Begegnung mit Kunst aller großen Opern- und Konzerthäuser. Es ist unsere Aufgabe, diesen Wert zu vermitteln und das Abo attraktiv zu erhalten.

Sind die Interessen auch stilistisch diverser geworden?

Wir haben immer noch hoch verehrte Stammgäste, die zum Beispiel nur Kammermusik hören wollen oder Liederabende und dafür Orchesterkonzerte auslassen – und umgekehrt. Doch auch die werden oft hellhörig, wenn in unseren öffentlichen Programmpräsentationen zum Beispiel die Namen Buchbinder oder Grubinger fallen. Außerdem gibt es jene 25 Prozent, die flexibel sein wollen und vielleicht auch aus Jobgründen sein müssen: Die Arbeitswelt ändert sich, etwa mit dem Homeoffice, man kann nicht mehr einfach davon ausgehen, dass für die meisten zum üblichen Konzertbeginn um 19.30 Uhr Freizeit angesagt ist. Deshalb setzen wir auch vermehrt auf ein Tagesangebot: Unter „Musikverein plus“ öffnen wir zum Beispiel die Generalproben der Grazer Philharmoniker am Vormittag, machen nachmittags einstündige Salonkonzerte und lassen in den Philharmonischen Soiréen einstündige moderierte Kammermusikkonzerte in eine lockere Jazzlounge übergehen. Man kann fast zu jeder Tageszeit bei uns Musik hören.

Wie wichtig ist es, mit Stars zu locken? Und wie bringen Sie die Jungen ins Spiel?

Wir sind dazu da, die klassische Musik in ihrer besten Form zu pflegen. Dazu braucht man aber die richtige Mischung, vor allem in den Abonnements. Wer die Jungen nicht fördert, hat morgen oder übermorgen auch keine Stars. Es ist ein Puzzle, das am Schluss ein stimmiges Gesamtbild ergeben muss. Das gilt aber auch fürs Publikum: Kinder- und Jugendprogramme haben wir stark ausgebaut.

Neugier versuchen Sie ja auch mit dem „Musikalischen Aperitif“ zu wecken . . .

Das ist ein neues Format, bei dem knapp vor dem regulären Abo-Konzert junge Leute von der Kunstuni Kostproben ihres Könnens abgeben, zehn bis 15 Minuten lang: Wer will, kann da schon im Saal sitzen, muss aber nicht. Nach anfänglicher Skepsis wollen das immer mehr hören, mittlerweile sind wir da schon halb voll.

Auch wenn die neue Saison gerade erst begonnen hat: Können Sie auch schon von ferneren Zukunftsplänen etwas verraten?

Adam Fischer ist Ehrenmitglied bei uns, er hat als Korrepetitor an der Grazer Oper begonnen, seine Verdienste um die Musik von Joseph Haydn sind enorm. Wir werden ab 2023 immer zu Saisonbeginn ein Haydn-Fest mit 4 Konzerten unter seiner Leitung veranstalten: Fischer kommt mit seinem Dänischen Kammerorchester für Haydns bedeutendste Symphonien, Solokonzerte und jeweils ein großes Vokalwerk: „Orfeo ed Euridice“, seine letzte Oper, die „Jahreszeiten“ und die „Schöpfung“.

Auf einen Blick


Musikverein Graz
Sparkassenplatz 2
8010 Graz

Öffnungszeiten:
Mo. 9 – 18 Uhr
Di. – Fr. 9 – 15 Uhr

Tel: +43/316/82 24 55
E-Mail: tickets@musikverein-graz.at
www.musikverein-graz.at

Emmanuel Tjeknavorian dirigiert mit der „Fledermaus“ seine erste Operette.
Emmanuel Tjeknavorian dirigiert mit der „Fledermaus“ seine erste Operette.(c) Uwe Arens

Glücklich ist, wer das nicht vergisst!

Die „Fledermaus“, konzertant im Grazer Musikverein: Ein heiteres Saisonfinale der Extraklasse. Zum Ausklang der Spielzeit darf es auch einmal Champagnerlaune pur sein – zumal dann, wenn ein Könner wie Wolfgang Gratschmeier für das halbszenische Arrangement dieser „Fledermaus“ sorgt. Christiane Karg und Mauro Peter sind als Rosalinde und Eisenstein zu erleben, am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien steht Emmanuel Tjeknavorian: Der junge Österreicher, ein gefeierter Tausendsassa der internationalen Musikszene, dirigiert damit seine erste Operette.

Heiterkeit für triste Stunden

„Emmanuel und ich stehen in engem Austausch, er hat als Dirigent bei uns eine künstlerische Heimat gefunden“, erzählt Michael Nemeth, „und das noch vor seinem offiziellen Schwerpunktwechsel von der Geige zum Dirigentenpult.“ Im Lockdown wurde sogar Mozarts „Jupiter-Symphonie“ mit ihm und den Grazer Philharmonikern für TV-Kameras produziert, der Film ist in der Mediathek abrufbar. „Wir haben lange überlegt, was es braucht, das Publikum zu begeistern und ihm in einer tristen Zeit auch etwas Heiterkeit zu vermitteln. Von Opernideen sind wir aufgrund unserer beiderseitigen Liebe allgemein zur Wiener Unterhaltungsmusik und konkret zu Johann Strauß Sohn rasch abgekommen.“ Die viel gespielte „Fledermaus“ also, die aber im Detail gar nicht so umfassend bekannt ist wie man annehmen möchte: Tjeknavorian will die üblichen Striche aufmachen, und das bedeutet sogar für langjährige Kenner des Werks so manch verblüfftes Aufhorchen – zum Beispiel durch die bei Bühnenaufführungen so gut wie nie gespielte Ballettmusik. Ein Reigen spanischer, schottischer, russischer, böhmischer (mit Gesangsduett!) und zuletzt ungarischer Tänze ist da zu erleben, ein quer durch Europa führendes Neujahrskonzert im Westentaschenformat geradezu, das zuletzt in Rosalindes feurigen Csardas mündet. Da kommen auch Raritätenjäger mit gespitzten Ohren auf ihre Kosten.

Wobei auch die sonstige Besetzung mit Originalität punkten kann. Mit Michael Schade als Prinz Orlofsky knüpft man nämlich an die Tradition der klassischen Verfilmung durch Otto Schenk an, bei welcher der gebürtige Grazer Karl Böhm am Pult stand. Damals war kein Geringerer als Wolfgang Windgassen in diesem sonst als Hosenrolle besetzten Part zu erleben: der große Wagnertenor von einst in selbstironischer Manier als angejahrter Lebemann. Neben Michael Schade sind u. a. Sebastian Holecek (Frank), Liviu Holender (Dr. Falke) und Miriam Kutrowatz (Adele) mit von der Partie, ebenso der Arnold Schoenberg Chor – sowie ein waschechter TV-Polizist (und studierter Opernsänger!) als Gefängnisdiener Frosch: Max Müller, der Michi Mohr aus den „Rosenheim Cops“.


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