Morgenglosse

Und jetzt die Heizscham

Heizungsthermostat
HeizungsthermostatAPA/dpa/Lino Mirgeler
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Ist es plötzlich verwerflich, sich an den warmen Heizkörper zu lehnen?

Was ist Scham? Ein Gefühl, das nicht allein mit Fehlverhalten erklärbar ist. Eher geht es darum, bei anderen Personen nicht peinlich zu wirken. Und peinlich ist es aktuell, einzuheizen. Erst vor wenigen Tagen, in einem Weinlokal in Wien, wies ein Gast irritiert daraufhin, dass hier eingeheizt sei. Die Kellnerin verteidigte sich damit, dass sonst ja niemand in ihr Lokal komme. Daraufhin entwickelte sich unter den Gästen eine hitzige Debatte darüber, wer denn schon daheim eingeheizt habe. Und jeder – jeder! - wies stolz darauf hin, er habe selbstverständlich in diesem Herbst noch nicht eingeheizt. Natürlich wegen Putin, dem Krieg und der Umwelt.

Ja, es gibt sie: die Heizscham. Mit ihr verbreitet sich der Vorwurf, es wäre verwerflich, sich an warmen Heizkörpern zu lehnen. Und jene, die dieses Gefühl protegieren, wollen natürlich selbst besonders gut dastehen. Deshalb machen sie ihr Energiesparen öffentlich. Seltsam nur, warum offensichtlich niemand ganz ruhig und besonnen den Thermostat um ein zwei Grad hinunter dreht. Das würde nachhaltig den ganzen Winter wirken.

Wäre das schon vor einem Monat geschehen, hätte in diesem warmen Oktober sowieso kaum eine Gastherme reagiert. Laut Meteorologen war dieser Herbstmonat der wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen, also mindestens seit 1767. Bei 18 bis 26 Grad Außentemperatur gab es keinen Grund einzuheizen, außer die Wohnung oder das Weinlokal lag in einer ausgesetzten Lage.

Es ist gut und richtig, in einer Situation, in der fossile Brennstoffe teuer sind und als politische Waffe eingesetzt werden, diese Form der Energie freiwillig einzusparen. Aber ganz ehrlich: viel Anstrengung hat das bisher nicht gekostet. Die wahren Helden werden erst im Winter gekürt. Und wetten, da verstummt die öffentlich ausgetragene Heizscham. Vielleicht, das wäre zu wünschen, wird sie durch eine Zwanzig-Grad-Plus-Scham abgelöst.

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