Lehre

Nach der Uni in die Lehre gehen

Sonja Petrovics hat ihre Tischlerlehre nach dem Studium begonnen – und den Schritt nicht bereut.
Sonja Petrovics hat ihre Tischlerlehre nach dem Studium begonnen – und den Schritt nicht bereut. Sybille Dremel
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Bislang machen nur eine Handvoll Absolventen nach dem Studienabschluss eine Handwerkslehre. Mehr Durchlässigkeit zwischen Lehre und Studium soll dies ändern.

Sonja Petrovics und Franziska Brugger haben genau das gemacht, was noch als Seltenheit gilt: Beide absolvierten ein Studium, beide arbeiteten in einem klassischen Bürojob, und beide haben kurzerhand den Computer gegen den Hobel getauscht. „Meine Eltern waren im ersten Moment entsetzt über diese 180-Grad-Drehung“, erzählt Petrovics. Die Idee, einen Lehrberuf zu ergreifen, schwirrte aber schon lange Zeit in ihrem Kopf herum. „Nach der Matura wollte ich eine Lehre zur Restauratorin machen, habe mich allerdings nicht drübergetraut und an der Boku Landschaftsplanung studiert“, erzählt die mittlerweile selbstständige Tischlerin.

Auch bei Brugger war die Lehre früh Thema: „Meine Eltern meinten jedoch: Mach die Matura, dann kannst du immer noch umschwenken.“ Nach Matura, Biologiestudium und Verlagsjob schwenkte sie schließlich um. Auf der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten stieß sie auf das FiT-Programm (Frauen in die Technik) des AMS. Das Programm vermittelt Frauen Praktika in technischen Berufen und unterstützt bei der Lehrstellensuche. Bis zur fixen Lehrstelle erhält man das Arbeitslosengeld, danach das Lehrlingsentgelt, wobei der Ausbildungsbetrieb um Basisförderung ansuchen kann. Lehrlinge mit Matura profitieren zudem – je nach Lehrberuf – oft von einer verkürzten Lehrzeit. Auch das Überspringen einer Klasse oder die Freistellung von Fächern kann mit der jeweiligen Berufsschule vereinbart werden. Die „duale Akademie“, ein neueres Qualifizierungsmodell für die Lehrausbildung von Maturanten, wirbt ebenfalls mit verkürzter Lehre und spannenden Berufsbildern. Trotzdem, Studienabsolventen wie Brugger und Petrovics, die in einen Lehrberuf wechseln, sind die große Ausnahme.

Zielgruppe Studienabbrecher

„Rein statistisch ist dieses Phänomen inexistent“, erklärt Mario Steiner vom Institut für Höhere Studien in Wien. Im Schuljahr 2020/21 hatten von 2133 Schülern in den ersten Berufsschulklassen 471 einen AHS- bzw. BHS-Abschluss, lediglich 27 davon einen anderen weiterführenden Abschluss – theoretisch auch einen Hochschulabschluss. Ganz anders könnte es aber bei Studienabbrechern aussehen, führt sein Kollege Martin Unger von der Hochschulforschung aus: „2014 haben wir dazu die letzte Studie gemacht. Damals war die Lehre unter den Dropouts noch kein Thema – das könnte sich aber geändert haben.“ Zu beobachten sei nämlich ein Anstieg bei Maturanten, die eine Lehre beginnen: Vor zehn Jahren hatten nur 0,4 Prozent aller Berufsschulbeginner eine AHS-Matura, aktuell sind es 0,9 Prozent. Insgesamt sei es für Unger verwunderlich, dass das Berufsbildungssystem (und die Wirtschaft) nicht aktiv um Studienabbrecher werbe. „In Deutschland ist es sehr häufig, dass zwischen Abitur und Studium eine Lehre gemacht wird, wobei man sich viel an Berufsschule spart und die Lehrzeit verkürzt ist.“ Zudem seien duale Studien – also Studium und Ausbildung – verbreiteter als derzeit in Österreich.

Betriebe suchen ältere Lehrlinge

Bemühungen, um mehr Hochschulabsolventen für die Lehre zu begeistern, sieht Thomas Moldaschl von der AK allerdings kritisch: „Wir haben bereits jetzt das Problem, dass viele Betriebe ältere Lehrlinge bevorzugen und es für Jugendliche, die außer der Pflichtschule noch keinen Bildungsabschluss haben, schwerer ist, eine Lehrstelle zu finden.“ Viele Betriebe schätzen die Zusatzqualifikationen, die „Twens“ mitbringen, trotzdem müsse man auch junge Lehrstellensuchende im Fokus behalten und fördern.

Gebraucht wird jeder, denn: Der Fachkräftemangel sei enorm und die Handwerksbranche in der Klimakrise voll gefordert, bestätigt Alexander Rauner von der Bundessparte für Gewerbe und Handwerk. „Mittlerweile bietet die Branche durch Digitalisierung und Green Skills sehr zukunftsträchtige Job- und Karrierechancen“, erklärt er. Dies stoße auch bei jungen Menschen auf Interesse, die sich bisher nur einen akademischen Bildungsweg vorstellen konnten. Ob dieser Bildungsweg der Lehre mit 15 oder erst später als Quereinsteiger beschritten werde, hänge aber von der Attraktivität der neuen Berufsbilder und den Ausbildungsmöglichkeiten ab. „Wir arbeiten derzeit an einem ergänzenden durchlässigen Bildungsweg, der auch auf tertiärem Niveau – wie dem Studium – eine Perspektive bietet.“ Mit dieser Höheren berufspraktischen Bildung (HBB) soll ab 2023, ergänzend zu den bestehenden formalen Bildungsabschlüssen, eine attraktive Ausbildungsschiene für Studierende geboten werden. Generell spricht er sich für mehr Durchlässigkeit zwischen Lehre und Studium aus, denn „Bildungskarrieren sind nicht mehr so geradlinig wie früher – das zeigt sich auch in der Lehre“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2022)

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