Allerheiligen

Ich habe meinen Vater in ein Tuch gehüllt

Ich habe meine Hände von ihm, wie so vieles, die gleiche lange Form.
Ich habe meine Hände von ihm, wie so vieles, die gleiche lange Form. Theodor Barth/laif/picturedesk
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Ohne die Totenwache hätte ich zwar mit Mitte vierzig den ersten toten Menschen in meinem Leben gesehen, der Tod als Prozess aber wäre mir ferngeblieben. Es würde mir etwas fehlen im Leben. Ich möchte diese Erfahrung nicht missen, sie hat einen anderen Menschen aus mir gemacht.

Der Wecker piept, ich wache auf. Ich liege auf dem schmalen, aufgeklappten Reisebett. Mein Blick geht zu meinem Vater, an dessen Bettende ich geschlafen habe. Papa. Mein Papa. Geliebter Papa. Ich schlage die Decke zur Seite, setze mich auf und betrachte ihn. Die Kristalllampen beleuchten sein Gesicht, ein warmes Licht auf seiner weißen Haut, die wie Porzellan wirkt. Markant ist sein Gesicht, so wie es sein ganzes Leben war, nur in den letzten Monaten seines Sterbens ist es weich und feminin geworden. Jetzt zeigen sich seine klaren Konturen wieder, jetzt, da mein Vater tot ist. Die Jochbeine sind deutlich zu sehen, die Augen geschlossen in den Höhlen, seine große Nase, der geöffnete Mund. Die Dreiecksform seines Gesichts, Yvonne hat mich am letzten Tag vor seinem Tod darauf hingewiesen, wie von der Stirn zum Kinn sich der Schädel zeigt, weil die Gesichtsmuskeln erschlaffen.

„Er wird gehen“, hat sie gesagt, nun erkenne ich, was sie meinte. Mein Vater ist in ein Leinentuch gehüllt. Um seinen Kopf herum haben Angela, die Bestatterin meines Vaters, und ich es aufgebauscht. Geborgen ruht sein Kopf darin. Blumen liegen auf seinem Bett, Rosen, Nelken, Gänseblümchen, auch auf dem Tuch, darunter zeichnet sich sein großer, ausgemergelter Körper ab. Zu seinen Füßen der gewebte Teppich meines Sohns, türkisfarbene Wolle, bunte und dann rosafarbene, die Enden verknotet und ein wenig zottelig. Wir haben lange daran gewoben und wollten ihn Opa eigentlich zu Weihnachten schenken, jetzt ist daraus ein fliegender Teppich für seine Himmelsreise geworden.

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