Unterwegs

Reiseziel Architektur: Destination Moderne

(c) Maija Holma, Alvar Aa
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Gesamtes statt einzelne Bauten: vom Bauhaus in Dessau bis zum Desert Minimalism Kaliforniens.

Zugegeben: Eine Reise nach Dessau-Roßlau mutet auf den ersten Blick wie eine Kaffeefahrt an. Doch auf den zweiten ist sie der Schlüssel zu einer Schatzkammer: Adoranten moderner Architektur wandeln hier im Osten Deutschlands auf den Spuren von Walter Gropius. In Sachsen-Anhalt eröffnete der Architekt 1926 den neuen Standort der 1919 im thüringischen Weimar gegründeten Design-, Architektur- und Kunstschule Bauhaus.

Das Bauhaus ist Geburtsort von Gebäuden, die Weltruhm erlangten und als Ikonen der Moderne Baugeschichte schrieben: etwa das Kunstschulgebäude und der Hauptbau der Bauhaus-Universität und das Musterhaus „Am Horn“ in Weimar, die Meisterhäuser und das frühere Arbeitsamt in Dessau, die Laubenganghäuser in Dessau-Törten sowie die ehemalige Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds in Bernau bei Berlin.

Seit 1996 ist der Bauhaus-Gebäudekomplex in Dessau Teil der Unesco-Welterbestätte. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurden die Baudenkmäler wiederaufgebaut – Ludwig Mies van der Rohes und Marcel Breuers Werkstatt der Moderne erscheinen heute wieder originalgetreu. Die Architekten kreierten hier die Grundlagen des funktionalen Wohnens: in puncto Interieur, Typografie und Farbgebung in den Bauhaus-Farben Rot, Gelb und Blau. Fans haben die Möglichkeit, in streng anmutenden Kammern in nüchterner Einrichtung zu nächtigen. Und Ikonen des Bauhaus-Designs wie Breuers „ti 1a“-Holzstuhl in natürlicher Umgebung zu testen.

Bauhaus-Villa in Brno

Auf den Spuren van der Rohes wandeln Architek-Tourende auch in Brno: bei einem Besuch der Villa Tugendhat – der Architekt schuf sie 1929 für das Unternehmerpaar Fritz und Grete Tugendhat. Die Villa zählt zu den bedeutendsten Van-der-Rohe-Bauten in Europa und wurde 2001 in die Unesco-Welterbeliste aufgenommen: als Denkmal moderner Architektur.

„Ich habe mir immer ein geräumiges Haus mit klaren einfachen Formen gewünscht“, erklärte die ehemalige Besitzerin die Architektenwahl. „Und mein Mann war geradezu entsetzt von Zimmern, die bis an die Decke mit Figürchen und Zierdecken vollgestopft waren.“ Ausgewählte Schönheiten prägen das Bild, beispielsweise die berühmten Barcelona-Chairs. Kunsthistorikerin Daniela Hammer-Tugendhat, die in Wien lebende Tochter des Paares, bestätigt die Chemie zwischen Bauherren und Architekt: „Es war der seltene Fall einer völligen Übereinstimmung.“

Die Gesamtkosten des mit 1250 Quadratmetern Nutzfläche riesigen Hauses inklusive Technik auf dem damals neuesten Stand waren enorm – sie beliefen sich auf fünf Millionen Kronen. Allein für den Preis der Onyx-Wand hätten die Tugendhats ein weiteres Einfamilienhaus errichten können. Heute ist die Villa restauriert und steht Besuchern bei Führungen offen.

Klampenborg und Jacobsen

Auf den Spuren der Moderne wandeln Architektur-Aficionados auch im Norden von Kopenhagen: in Klampenborg am Öresund. Der Architekt und Designer Arne Jacobsen verwandelte das verschlafene Seebad in eine „weiße Stadt am Meer“, der Funktionalist errichtete hier gleich mehrere Sehenswürdigkeiten: ein Restaurant, Revuetheater mit mobilem Dach, Umkleidekabinen, einen Rettungsturm am Pier, Kiosk und Kajak-Club. Auch die Bellavista-Häuser stammen aus der Feder Jacobsens. Der Meister logierte hier sogar höchstpersönlich und betrieb im Keller sein Architekturbüro mit zehn Gleichgesinnten. Von hier aus eroberten Swan- oder Egg-Chairs die Welt.

Weitere Must-sees für Jacobsen-Fans sind die Mattsson-Reitschule inklusive Restaurant, die 18 Søholm-Reihenhäuser und sogar die Tankstelle in Skovshoved: ein schlichter viereckiger Bau mit weißer Fliesen-Fassade. Der Blickfang ist jedoch das Vordach: in Form eines riesigen Sonnenschirms beziehungsweise Pilzes, der Zapfsäulen und Gebäude verbindet.

Auf Aaltos Spuren in Helsinki

Dass in Finnland angeblich die glücklichsten Menschen der Welt leben, ist kein Geheimnis. Sie genießen das Schärenmeer, Europas größtes Seengebiet, unberührte Wälder und das herausragende Werk von Alvar Aalto. Der Architekt und Designer gilt in Skandinavien als „Vater des Modernismus“ und Schöpfer berühmter Objekte: der „Beehive“-Pendelleuchte und Glasvasen in Wellenform. Auf Fans wartet in Helsinki eine spezielle Tour: vom Alvar-Aalto-Museum (bis Sommer 2023 geschlossen) über sein Studio bis zu seinem Privathaus. In Letzterem lässt sich der Lebensstil des Meisters und seiner Ehefrau Aino originalgetreu studieren – bis ins kleinste Detail.

Le-Havre-Architektur

Das französische Le Havre offenbart das große Ganze. Die Stadt am Ärmelkanal wurde im Zweiten Weltkrieg fast komplett zerstört. Und danach vom Reißbrett wieder aufgebaut. Dank nackter Geometrie und kühlem Beton war sie als Hauptstadt der Tristesse verrufen. Doch das hässliche Entlein wandelte sich 2005 zum stolzen Schwan: Seit der Aufnahme Le Havres ins Unesco-Weltkulturerbe (als einziges Stadtensemble des 20. Jahrhunderts in Europa) ist es Avantgarde. Das „Stalingrad am Atlantik“ wurde zum „Manhatten am Meer“ mit eigener Baugeschichte: der Le-Havre-Architektur.

Eine späte Auszeichnung für den Architekten Auguste Perret. Der Lehrer von Le Corbusier ist Meister des Stahlbetonbaus und hatte ein Vision: eine moderne Stadt für 80.000 Menschen erbauen, die alles verloren hatten. Sein Baustoff war Beton aus dem Ziegelschrott der Ruinen – in der Sonne leuchtet er bunt statt mausgrau. Beispielsweise in der Avenue Foch, dem Pendent zur Pariser Champs-Élysées. Die von Perret geschaffenen Wohnungen waren der sprichwörtliche Lichtblick nach dem Krieg, die hatten deckenhohe Fenster, Balkone und helle Badezimmer. Heute werden sie zu Rekordpreisen gehandelt. Für Besucher offen ist das Appartement Témoin in der Rue de Paris: eine zeitlos moderne Musterwohnung mit fröhlichen Farben, organischer Formensprache und Original 1950er-Jahre-Mobiliar.

Als Landmark fungiert die Gedächtniskirche Saint-Joseph. Dank ihrer Höhe von 107 Metern ist sie bereits von Meer aus sichtbar. Das Kunstmuseum Musée d'art moderne André Malraux beherbergt Gemälde von Monet, Renoir, Pissarro und Boudin. Und zwei weiße Gebäude in Ufo-Form bilden das Kulturzentrum Le Volcan. Das Werk des brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer ist Bühne und Bibliothek der Stadt – seine Rundarchitektur setzt einen bewussten Kontrast zur Geradlinigkeit Le Havres.

Desert Minimalism

Die kalifornische Wüste entpuppte sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Spielwiese für Reich und Schön: Das weite Land zog Stars wie Frank Sinatra und Elvis Presley an. Aber auch Architekten wie Donald Wexler, Richard Neutra, Albert Frey, John Porter Clark und Frank Lloyd Wright. Die Vertreter der Mid-Century-Moderne verwirklichten in und um Palm Springs ihre Visionen – in Häusern für Künstler wie Sinatra (Twin Palm Estate), aber auch in Banken, Postämtern, Highschools und Tankstellen. Der neue Architekturstil namens „Desert Modernism“ zeichnete sich durch klare Linien, viel Glas sowie Bonbonfarben und Pastelltönen aus.

Baudenkmäler wie Neutras Kaufmann House, das Frey House II oder Wexlers Steel House No. 6 können in Zuge von Architek-Touren besucht werden. Oder per Aerial Tramway: Die Luftseilbahn aus den 1960er-Jahren eröffnet spektakuläre Blicke aus der Vogelperspektive. Auf eine Stadt, die immer noch so aussieht, als könnten Don Draper oder Marlon Brando jeden Moment vorbeifahren. Stilecht übernachtet wird im L'Horizon Resort and Spa, dem Palm-Springs-Klassiker von Architekt William F. Cody. Auch Marilyn Monroe checkte hier ein – in die Wüste der Moderne.

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