Goldgräberstimmung wegen Betongolds: Das traurige Schrumpfen des Wiener Zinshausbestands.
Das Happy Buddha, chinesisches Dim-Sum-Lokal am Mariahilfer Gürtel 9, musste ausziehen. Ich sehe das stukkaturreiche Zinshaus täglich. Obwohl es mit etwas Renovierung gerettet werden könnte, soll es abgerissen werden. Daneben, wo ein anderes Zinshaus wich, steht als düstere Drohung ein graues Neo-Bollwerk. Einzig die Kleinpartei „Links“ brachte in der Bezirksvertretung Rudolfsheim-Fünfhaus eine kritische Anfrage zur Zukunft dieses einheitlichen Ensembles und allgemein zur Immobilien-Spekulation ein.
Sie reißen uns Wien unter dem Hintern weg. Viel baukulturelles Erbe fällt zurzeit zum Opfer – darunter interessante architektonische Mixturen sowie Beispiele aus Historismus, Jugendstil und Klassischer Moderne. Die Schutzmaßnahmen reichen nicht aus, eine 2018 verschärfte Bauordnung löste die Problematik ebenso wenig. Die Substanz wird hurtig durch minderwertige ersetzt, und die Politik hält sich auch noch zugute, Wohnraum für „glückliche Familien“ zu schaffen.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich finde keinesfalls jedes alte Haus erhaltenswert, und ich glaube auch keinesfalls, dass moderne Architektur oder Hochhäuser und Türme nicht in ein Stadtbild gehören! Doch in Wien führt der Abrissboom, der Ausverkauf, zu einer strukturellen Verarmung.
Seit 2007 ging gut ein Achtel der gründerzeitlichen Zinshäuser (erbaut von 1848 bis 1918) durch Abriss verloren oder wurde parifiziert, wobei ein wirtschaftlicher „Verwertungsdruck“ Preissteigerungen und soziale „Verdrängungseffekte“ mit sich brachte. Das rechnet die Studie „Die Transformation der Wiener Gründerzeitstadt“ (2021) der Akademie der Wissenschaften vor. Schleifung sei für Investoren attraktiv, weil durch Neubauten „die starke mietrechtliche Regulierung aufgehoben“ werde. Wien fungiert als Cashcow für Immo-Entwickler, unter Aufsicht der ewig regierenden SPÖ, die sich auf dem Wohnungsmarkt einst einen guten Namen machte und heute auffällig neoliberal agiert.
Wie moderne Architektur geht, könnte man auf Reisen nach Paris, Berlin oder Bukarest lernen, aber dafür scheint sich niemand zu interessieren.
("Die Presse Schaufenster" vom 21.10..2022)