Die Göttin Freya ist nur eine von vielen Widersacherinnen, die den Protagonisten Schwierigkeiten bereitet.
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"God of War: Ragnarök": Ein glorreicher Vater-Sohn-Komplex

„God of War“ brach 2018 Verkaufsrekorde. Die Geschichte um die schwierige Beziehung zwischen dem Götter-Töter Kratos und seinem Sohn bekommt nun einen Nachfolger. Die „Presse“ hat das Rollenspiel vorab getestet und liefert eine „Spoiler“-freie Rezension.

Das Leben als alleinerziehender Vater ist nie leicht. Kommt noch eine belastende Familiengeschichte hinzu, wird es richtig kompliziert. Kratos, ehemaliger spartanischer Heerführer und Handlanger des griechischen Kriegsgottes Ares, bringt viel seelischen Ballast mit. In einem Blutrausch, ausgelöst durch verfluchte Klingen, tötete er seine erste Ehefrau und die gemeinsame Tochter. Als Strafe ist er dazu verdammt, die Asche seiner verstorbenen Familie für immer auf der Haut zu tragen. Viele hundert Jahre später - Kratos hat sich mittlerweile im hohen Norden ein neues Leben aufgebaut - muss der Götter-Töter erneut eine Frau zu Grabe tragen. Seine große Liebe hinterlässt ihm einen Sohn, Artreus, den Kratos kaum kennt. In „God of War“ aus 2018 brach das Vater-Sohn-Duo auf, um die Asche der verstorbenen Frau und Mutter auf dem „höchsten Gipfel aller Welten“ zu verstreuen. Kratos' mürrische Entschlossenheit, seinem Sohn Leid zu ersparen und Artreus' Unverständnis für die Kälte seines Vaters kreieren eine Dynamik, die die Charaktere unglaublich nahbar werden lässt. Die Odyssee der beiden konnte die Herzen von Rollenspiel-Fans auf der ganzen Welt erwärmen.

Vier Jahre lang haben die Entwickler von Santa Monica Studios an einer Fortsetzung des Erfolgs-Titels gearbeitet, die am 9. November erscheint. Die Erwartungen an den Nachfolger „God of War: Ragnarök" waren dementsprechend hoch. Nicht nur aufgrund der erzählerischen Stärke, sondern auch, weil der Vorgängertitel hohe grafische Standards setzte und mit einem Cliffhanger endete. Eine Prophezeiung enthüllte Artreus als den Halbgott Loki, der dazu bestimmt ist, „Ragnarök“, den Untergang aller Welten, zu verhindern. Klingt alles wenig nach griechischer Mythologie? Das hat seine Gründe. Mit der ursprünglichen „God of War"-Reihe aus den 2000er-Jahren hat die „nordische Saga“ inhaltlich wenig zu tun. Die Brutalität, für die die Serie bekannt ist, und der Hang zur griechischen Tragik ist aber dennoch geblieben. Die zarte Bindung, die zwischen Vater und Sohn auf ihrer Reise entstanden ist, wird in „Ragnarök“ auf die Probe gestellt. Der mittlerweile jugendliche Artreus aka Loki ist fest entschlossen, die Welt zu retten und rebelliert gegen seinen beschützerischen Vater - jugendliches Ausreißen und verletzende Wortgefechte inklusive. Keine guten Voraussetzungen, um sich mit Göttern und Monstern herumzuschlagen.

Artreus bereitet seinem Vater Kopfzerbrechen - und umgekehrt.
Artreus bereitet seinem Vater Kopfzerbrechen - und umgekehrt.Sony

Wiedersehen macht (nicht nur) Freude

Aus Spoiler-Gründen soll hier nicht mehr über die Geschichte verraten werden, nur soviel sei gesagt: Kratos' Geschichte und auch die Ereignisse aus dem Vorgängertitel holen Vater und Sohn in „Ragnarök“ ein. Die Göttin Freya, die durch Kratos und Artreus Handlungen ihren Sohn verloren hat, hat den beiden Rache geschworen. Und damit nicht genug: Auch der Göttervater Odin mischt nun mit. Ein Wiedersehen mit alten Bekannten gibt es aber natürlich auch. Auffällig ist dabei zunächst, dass es „Ragnarök“ wie bereits dem Vorgänger etwas an Diversität mangelt. Wenn sechs Männer wie „die Gefährten“ aus Herr der Ringe um einen Tisch sitzen und Pläne zur Rettung der Welt schmieden, wirkt das in der heutigen Zeit etwas befremdlich. Nach den ersten paar Spielstunden lichtet sich das Dickicht aber etwas. Ohne zu viel vorweg zu nehmen: Das Warten auf starke weibliche Charaktere zahlt sich aus.

Zudem hat Santa Monica Studios die Beliebtheit von Charakteren wie dem sprechenden Kopf Mimir und den beiden streitenden Zwergen-Brüdern Brok und Sindri geschickt genutzt und ihnen eine größere Plattform gegeben. Herausgekommen sind unzählige, teils selbstironische Dialoge, die der Erzählung neues Leben verleihen. So antwortet Artreus etwa auf die Frage eines Begleiters, was sein Vater denn da mache: „Er plündert Särge. Das macht er gerne“. An dieser Stelle sei auch die herausragende Synchronisation erwähnt, die dem Originalton in nichts nachsteht. Mit dem Fokus auf eine qualitativ hochwertige Erzählung trifft Sony nach einer Reihe enttäuschender Rollenspiel-Releases in den letzten Monaten bei vielen Fans des Genres bestimmt ins Schwarze.

Schatzjagd mit Hindernissen

Die Liebe zum Detail macht die neue „nordische Ära“ von „God of War" zu einem epischen Fantasy-Spektakel. Und wie es sich für ein solches gehört, gibt es ganz schön viele Wendungen und Erzählstränge. „Ragnarök“ hat bei der Länge aber den Vogel abgeschossen. Ganze 25 Stunden gibt allein die Hauptgeschichte her, möchte man jeden Schatz bergen und jeden Gefallen für NPCs (Non-Player-Charakters) erledigen, kommt man schnell auf 50 bis 70 Stunden. Obwohl sich die Hersteller sichtlich bemüht haben, auch die kleinste Suche nach Ausrüstung mit unterhaltsamen Dialogen und Rätseln zu spicken, gibt es hier Raum für Verbesserung. Wie bereits im Vorgängerteil werden manche Orte erst im weiteren Verlauf des Spiels freigeschalten, weil etwa gewisse Werkzeuge nicht verfügbar sind. Wenn bereits erkundete Schauplätze noch einmal „durchlaufen“ werden müssen, kommt selbst mit den unterhaltsamen Dialogen und der atmosphärischen Musik ein wenig Langeweile auf.

Immerhin ist die Schnellreise diesmal bereits deutlich früher im Spiel verfügbar. Eine „Open-World-Karte“ auf der sich Spielerinnen und Spieler frei bewegen können, gibt es zwar nach wie vor nicht; dem Erkunden nach Lust und Laune sind aber nur wenige Grenzen gesetzt. Die Bewegungsmöglichkeiten wurden merklich verbessert und sind weniger linear. Kratos und Artreus können sich nun etwa an Vorsprüngen hochziehen und abseilen. Die Rätsel, bei denen es nach wie vor um eine Mischung aus Geschicklichkeit und räumlichem Vorstellungsvermögen geht, wurden ebenfalls optimiert. Um an Schatzkisten an versteckten Orten zu gelangen, reicht es nun nicht mehr aus, Kratos' Axt immer auf dieselbe Art und Weise zu werfen. So müssen etwa Geysire eingefroren werden, um den Wasserdruck auf Gewichten zu regulieren oder magische Steine genau im richtigen Winkel getroffen werden, um den Kurs der Axt abzulenken.

Auch bei den Gegnern und Bosskämpfen wurde für mehr Abwechslung gesorgt.
Auch bei den Gegnern und Bosskämpfen wurde für mehr Abwechslung gesorgt.Sony

Verstecktes Potenzial

Abseits davon haben die Entwickler ein wenig Potenzial liegen lassen. So wurden etwa Kleinigkeiten, die bereits 2018 für Unmut gesorgt haben, nicht ausgebessert. Besonders auffällig ist hier der „Aktions-Button“. Kratos muss auch in Ragnarök wieder exakt im richtigen Winkel vor, unter oder auf Dingen stehen, um diese aktivieren zu können. Das kann, gerade wenn es um Zeit geht, schnell anstrengend werden. Spätestens wenn Spielerinnen und Spieler im Kampf sterben, weil sich der Heiltrank nicht schnell genug aufheben hat lassen, wird es frustrierend. Wer erst gar nicht erst in solch brenzlige Situationen kommen möchte, kann es sich in „Ragnarök“ aber leicht machen. Fünf verschiedene Schwierigkeitsstufen geben viel Raum für ein individuelles Spielerlebnis. Ganz Mutige können sich an den Modus „God of War“ wagen, bei dem es keine Gnade gibt. Dieser kann nur zu Beginn des Spieles einmal gewählt werden. Wird er später herabgesetzt, ist er nicht mehr aktivierbar.

Die Kämpfe selbst sind blutiger, als im Vorgängertitel. Damit steigt „Ragnarök“ wieder ein wenig in die Fußstapfen der frühesten Teile, die vielen Eltern ein Dorn im Auge waren. In die Videospiel-Geschichte eingegangen war etwa jene Szene, in der Kratos in „God of War III“ aus 2010 dem Götterboten Hermes beide Beine abhackt, nur um sich dessen magische Schuhe aneignen zu können. Gewaltverherrlichend ist die „nordische Saga“ nun nicht mehr, schließlich versucht Kratos für seinen Sohn ein gutes Vorbild zu sein. Dennoch hat es seine Gründe, dass „God of War" erst ab 18 Jahren empfohlen wird. Bei den Kämpfen spritzt reichlich Blut und obwohl meist keine Details zu sehen sind, kann es schon einmal vorkommen, dass Kratos eine angreifende Bestie mit bloßen Händen in zwei Hälften reißt. Neue Kombo-Angriffe und ein ausgeklügeltes Zusammenspiel der Charaktere, das durchaus fordernd sein kann, verhindern aber, dass die Kämpfe in dumpfes „Hack and Slay“ ausarten. Bei den „Quick-Time-Events“ (Zwischensequenzen bei denen schnell gewissen Tasten gedrückt werden müssen) wird Spielerinnen und Spielern allerdings nach wie vor wenig zugemutet. So entsteht manches Mal der Eindruck, einen Spielfilm zu schauen, bei dem ab und an ein Button gedrückt werden muss.

Kratos kann zwischen seiner Leviathan-Axt und den altbekannten Chaos-Klingen wählen.
Kratos kann zwischen seiner Leviathan-Axt und den altbekannten Chaos-Klingen wählen.Sony

Grafisch hat es dieser Spielfilm aber in sich. Hier ist - auch in der PS4-Version - wenig Unterschied zum Vorgänger-Titel zu bemerken. Was hätte es aber auch zu verbessern gegeben? Die Landschaften wirken trotz des Settings in einer Fantasiewelt nach wie vor täuschend echt, jedes Ornament an Kratos' Rüstung bewegt sich nach den Gesetzen der Physik, Haare wehen anmutig im Wind, selbst im größten Gemetzel ruckelt oder zuckelt nichts. Die Integration des Dual-Sense-Controllers hebt die Immersion, also das Eintauchen in die Spielwelt, aber auf ein vollkommen neues Level. Anders als im Vorgänger-Titel dringen in „Ragnarök“ ab und an atmosphärische Klänge aus dem PlayStation-Controller. Durch die malerischen Landschaften in „Ragnarök“ zu wandeln wird somit wahrlich zum Genuss, der sogar aus den gewohnt hochwertigen Sony-Exklusiv-Titeln heraussticht.

Die malerischen Landschaften laden zum Verweilen ein.
Die malerischen Landschaften laden zum Verweilen ein.Sony

Mehr als ein Nachfolger

Um „Ragnarök“ genießen zu können, ist es keinesfalls notwendig, den Rest der Serie gespielt zu haben. Um die Geschichte vollends genießen zu können, lohnt es sich aber, die PS4 für den Vorgängertitel aus 2018 (noch einmal) anzuwerfen. Denn freilich können die teils komplexen Hintergründe der vielen Charaktere nicht nochmal neu aufgerollt werden. Falls dafür keine Zeit ist, gibt es jedenfalls zu Beginn des neuen Spiels einen optionalen Rückblick auf die Ereignisse. Nebengeschichten wie die der beiden zerstrittenen Zwergen-Schmiede, die durch Kratos und Artreus wieder zusammenfinden, sind es aber wert, durchspielt zu werden. Nur so können die unzähligen wortgewandten Dialoge im aktuellen Teil auch wirklich geschätzt werden.

Mit „God of War: Ragnarök“ hat Sony nicht das Rad neu erfunden. Das ist aber auch gar nicht notwendig. Denn frei nach dem Motto „Never change a winning team“ haben die Entwickler ein „Triple-A“-Spiel (das Äquivalent eines Blockbusters mit ähnlichen großem Budget) hergenommen und noch einmal daran gefeilt. Herausgekommen ist ein Action-Rollenspiel, das genau das bietet: abwechslungsreiche, spektakuläre Kämpfe und eine Erzählung, die eines Fantasy-Romans würdig ist - mit der richtigen Prise Ironie. „Ragnarök“ ist somit nicht nur ein würdiger Nachfolger für den Titel aus 2018, sondern setzt auch die Latte für das Genre extrem hoch. Auch mit der schwierigen Beziehung zwischen Vater und Sohn scheinen die Entwickler einen Nerv zu treffen. Und wer weiß: Vielleicht hält „Ragnarök“ dem einen oder anderen strengen Vater oder rebellierenden Kind ja den Spiegel vor.

„God of War: Ragnarök“ erscheint am 9. November für PlayStation 5 und PlayStation 4. Ab 69,99 Euro ist der Titel zu haben, die Altersfreigabe liegt bei 18 Jahren.

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