„Ich habe Bankgeschichte geschrieben“

Wie der Zusammenbruch eines US-Brokers einen der größten Bankenskandale der österreichischen Geschichte aus der karibischen Diskretion ans Licht der Öffentlichkeit brachte.

Wien/Ju. An einem Wochenende im Oktober 2005 überweist die österreichische Gewerkschaftsbank Bawag einen „Blitzkredit“ über 445 Millionen Dollar an Phillip Bennett, den Chef des New Yorker Derivativhändlers Refco (an dem die österreichische Bank zu dem Zeitpunkt zehn Prozent hält) – und akzeptiert 34Prozent der Refco-Aktien als Sicherstellung. Versuche, das überwiesene Geld „zurückzuholen“ schlagen fehl, ein paar Tage nach der Überweisung wird Bennett wegen Bilanzfälschung verhaftet, und Refco schlittert in die Insolvenz.

In den darauf folgenden Wochen und Monaten ist in Wien die Hölle los: Die Finanzmarktaufsicht startet eine Sonderprüfung, Refco-Gläubiger drohen der Bawag mit Milliardenklagen und fordern, das Vermögen der Bank in den USA einzufrieren. Der Vorstand, dem damals Johann Zwettler vorsteht, tritt zurück, der jetzige OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny muss als „Feuerwehr“ an die Bawag-Spitze ausrücken.

Mit anderen Worten: Einer der größten Bankskandale, den Österreich je gesehen hat, kommt ins Rollen. Am Ende gehört die Bawag dem US-Investor Cerberus, der ÖGB hat keinen Streikfonds mehr, und eine Reihe von Bawag-Managern und ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch stehen vor dem Richter.

Der Refco-Zusammenbruch bringt nämlich ein Milliarden-Spekulationsringelspiel ans Tageslicht, das Bawag und Refco gemeinsam über zahlreiche, überwiegend in karibischen Steuerparadiesen domizilierte Briefkastenfirmen aufgezogen hatten. Ein System, das wesentlich vom früheren Bawag-Chef Helmut Elsner und vom Investor Wolfgang Flöttl (ein Sohn des Elsner-Vorgängers Walter Flöttl an der Spitze der Bawag) in Schwung gehalten wird. Vor allem aber eines, das der Bawag rund um die Jahrtausendwende einen Verlust von 1,4Mrd. Euro beschert. Einen Verlust, den die Bawag nicht in der Bilanz ausweist, sondern verschleiert. Unter anderem mithilfe einer Garantie des Bawag-Eigners ÖGB, die es dem Bilanzprüfer KPMG ermöglicht, die Bilanz des Jahres 2000 abzusegnen.

Der Versuch, diesen Verlust (in einem eigens dafür gegründeten Geflecht von Stiftungen und Briefkastenfirmen) zu verstecken und dann heimlich langsam abzutragen, wird professionell aufgezogen: Nur ein kleiner Kreis (im Wesentlichen der Bawag-Vorstand, der damalige ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch und Bawag-Aufsichtsratschef Günter Weninger) ist eingeweiht. Das Konstrukt platzt mit der Refco-Insolvenz.

Nicht der erste Karibik-Ausflug

Es ist nicht der erste „Ausflug“ der Bawag in die Karibik: Schon in den frühen Neunzigerjahren überweist der damalige Bawag-Chef Walter Flöttl Schilling-Milliarden an seinen in den USA lebenden Sohn Wolfgang, der als Ehemann einer gebürtigen Eisenhower zum US-Establishment gehört. Der Junior soll die Milliarden gewinnbringend anlegen – und das tut er auch. 1994 werden die Vater-Sohn-Geschäfte, die unter „Karibik I“ in die Bawag-Geschichte eingehen, öffentlich bekannt. Und müssen unter öffentlichem Druck gestoppt werden.

Dass Flöttl junior nach dem Stopp der Geschäfte anstandslos 24 Milliarden Schilling (1,7 Mrd. euro) rücküberweist, nötigt dem damals gerade auf den Generaldirektorssessel gehievten Helmut Elsner noch heute Respekt ab: „Nach der Rückführung war für mich klar, auf den ist Verlass“, sagte Elsner vorgestern bei seinem Auftritt vor dem OGH. Und: „Er war tüchtig und ein charakterlich tadelloser Mensch“.

Weil es so gut gelaufen ist, nimmt die Bawag ihre gestoppten Karibik-Geschäfte heimlich gleich wieder auf. „Tumpel (der jetzige AK-Präsident Herbert Tumpel, Anm.) und der gesamte Aufsichtsrat waren dafür, die Geschäfte wieder aufzunehmen“, sagte Elsner. Diesmal geht es aber schief: Flöttl setzt die Milliarden in Spekulationen auf den japanischen Yen ein – und erleidet angeblich einen Totalverlust. Angeblich deshalb, weil selbst die Notenbank in einem Prüfbericht anmerkt, man müsse sich die Frage stellen, wie wahrscheinlich es sei, dass ein erfahrener und bis dato sehr erfolgreicher Investor auf einmal nur noch Totalverluste erleide.

Die Frage, wo das Bawag-Geld hingekommen ist (Flöttls Währungsspekulationen sind im Prinzip Wetten, bei denen der „Gewinner“ das Geld einstreift), ist bis heute unbeantwortet. Einer der größten Kritikpunkte am groß aufgezogenen Bawag-Prozess war, dass dort der Frage nach dem Verbleib der Milliarden nicht gerade ambitioniert nachgegangen worden sei.

Wie auch immer: Die Verschleierung der Karibik-Verluste bringt Bawag und ÖGB an den Rand des Zusammenbruchs und den ÖGB eben um Bank und Streikfonds. Elsner sieht das aber auch heute noch anders: „Wir haben die Bank nie an den Rand der Insolvenz gebracht“, sagte er am Mittwoch. Und: „Der ÖGB war 2003 (bei der Verabschiedung Elsners aus dem Vorstand, Anm.) der Meinung, ich hätte Bankgeschichte geschrieben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2010)

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