Geschichte

Österreichs Landgewinn und die Tränen der Maria Theresia

Vor 250 Jahren verlor Polen-Litauen bei der Ersten Teilung ein Fünftel seines Staatsgebiets. Historiker aus Österreich und Polen referierten im Heeresgeschichtlichen Museum über die politischen Ambitionen von Österreich, Russland und Preußen.

Hat sie wirklich geweint oder doch nicht? Der österreichischen Landesfürstin und Königin von Ungarn und Böhmen, Maria Theresia, wird die Aussage „Sie weinte, aber sie nahm“ – oder noch stärker: „Je mehr sie weinte, desto mehr nahm sie“ – zugeschrieben. Ihr Widerpart, der preußische König, Friedrich II., soll dies im Zusammenhang mit der 1772 vollzogenen sogenannten Ersten polnischen Teilung gesagt haben.

Historikerinnen und Historiker aus Österreich und Polen beleuchteten am Freitag dieser Woche im Heeresgeschichtlichen Museum Wien (HGM) beim Symposium „Die Erste Teilung Polen-Litauens 1772“ die verschiedenen Aspekte der Vorgänge um die Aufteilung eines europäischen Staats und die Interessen der beteiligten Großmächte Russland, Preußen und Österreich. Die Ukraine, um deren Gebiete es ja auch ging, bestand im 18. Jahrhundert nicht als selbstständiger Staat, sie befand sich unter russischer bzw. polnisch-litauischer Herrschaft. Bereits seit dem Jahr 2008 führt das HGM gemeinsam mit dem Wissenschaftlichen Zentrum der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Wien bilaterale Symposien durch. „Die Erste Teilung Polen-Litauens 1772 bot sich nicht nur aufgrund ihres 250. Jahrestags an, sondern kann auch als interessantes Fallbeispiel europäischer Großmachts- und Kabinettspolitik dieser Zeit gesehen werden“, sagt HGM-Direktor Christian Ortner. Mit historischen Analogien zum gegenwärtigen Ukraine-Krieg sollte man aber vorsichtig sein. Ziel des Symposiums, so Ortner, könnte sein, das Interesse für den wenig bekannten Raum in Osteuropa zu wecken.

Schriftliche Zeugnisse fehlen

Wie Claudia Reichl-Ham ausgeführt hat, liegen keine unmittelbaren schriftlichen Zeugnisse vor, in denen der Preußenkönig die wenig schmeichelhafte Aussage über Maria Theresia festgehalten hat. Die Historikerin (HGM) zitiert freilich Eintragungen der Habsburgerin, denen zufolge sie sich gegen die Landnahme im Nordosten ihres Reichs gesträubt hat. „Wenn ich schon längst tot bin, wird man erfahren, was aus dieser Verletzung von allem, was bisher heilig und gerecht war, hervorgehen wird“, schrieb sie einst. Oder ihre Kritik an ihren Sohn Josef II., er habe „in der Handhabung dieser Krise Methoden angewandt, die sich am preußischen Vorbild orientiert hätten“.

Maria Theresia scheute vorerst davor zurück, Gebietsgewinne auf Kosten eines zutiefst katholischen Landes zu erzielen. Aber in dieser von der Habsburgerin titulierten „Krise“, haben Preußen und Russland schon ein Einverständnis über die Aufteilung des schwachen und intern zerstrittenen Polens erzielt. Da wollten Josef II. und Staatskanzler Kaunitz nicht abseitsstehen und dem Machtzuwachs der beiden Nachbarstaaten tatenlos zusehen. Österreich wollte von Preußen das verlorene Schlesien zurück und dafür Friedrich II. einen bedeutend größeren Teil Polens zugestehen. Aber das kam für Friedrich II. nicht infrage – und so beteiligte sich auch die widerstrebende Maria Theresia an der Teilung.

Der Staat ging verloren

Österreich wurde schließlich ein nicht unbedeutender Teil Polen-Litauens zugesprochen, nämlich Galizien und Lodomerien mit dem Zentrum Lemberg: 83.900 km2 mit 2,67Mio. Einwohnern. Russland bekam eine Fläche von 84.000 km2(1,26Millionen Einwohner) und Preußen 34.900 km2 (356.000 Einwohner). Friedrich II. erhielt zwar das kleinste, für Preußen aber strategisch wichtige Gebiet an der Ostseeküste (Verbindung zu Königsberg). Vielleicht war es der Flächenunterschied, dass dem Preußenkönig die spöttische Bemerkung über die weinende Maria Theresia zugeschrieben wurde.

Polen-Litauen verlor ein Fünftel seines Staatsgebiets. Nach der zweiten (1793) und dritten Teilung (1795) existierte der Staat nicht mehr. 1795 kam Westgalizien mit Krakau zu Österreich.

LEXIKON

Die erste Teilung. 1772 erhielt Österreich von Polen-Litauen 83.900 km2, Russland 84.000 km2 und Preußen 34.900 km2. 1793 erfolgte die zweite Teilung, Österreich beteiligte sich nicht. Bei der dritten Teilung 1795 gewann Österreich Westgalizien mit Krakau.

Die Regenten. In Österreich regierte 1772 Maria Theresia, in Russland Katharina II., in Preußen Friedrich II.. In Polen herrschte zur Zeit König Stanislaus II. August Poniatowski, der sein Land gegen die Intentionen des Adels und den Einfluss Russlands reformieren wollte, sich aber nicht durchsetzen konnte.

Das Symposium. Bei der Veranstaltung am 4. November im Heeresgeschichtlichen Museum wurden die Auswirkungen der ersten Teilung, die militärischen Folgen und die Integration der Bukowina in das Habsburgerreich behandelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2022)

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