Mein Samstag

November ohne Blues

Wenn es nach dem Kind geht, könnten wir den November überspringen. Dieser sei, findet das Kind, eher so ein verzichtbarer Übergangsmonat, der die Zeit bis Weihnachten nur unnötig hinauszögert.

Als Erwachsene, für die die Zeit wesentlich schneller davonläuft, sehe ich das anders. Für mich ist der November eine Art entspannte Schonfrist vor dem hektischen Dezember, eine Zeit, in der man theoretisch schon ganz relaxed Weihnachtsgeschenke besorgen könnte. (Praktisch ist mir das noch selten geglückt.) Aus Sicht einer lieben Freundin, die mir ab zirka Mitte August ungefragt über Whatsapp mitteilt, welche Geschenke für welche Kinder und Verwandte sie bereits besorgt hat, bin ich ohnehin schon furchtbar spät dran.

Von allen Monaten hat vielleicht der November das schlechteste Image, zu Unrecht, wie ich finde. Natürlich, er ist in der Regel eher grau und trist und ohne Tageslichtlampe übersteht man manchen Tag nicht ganz depressionsfrei, aber in den November fällt auch das sehr stimmige Laternenfest und stets der Start der neuen „The Crown“-Staffel. Und wenn der Monat dann einmal seine herbstlich-sonnige Seite zeigt, ist diese noch viel mehr wert als so ein Postkarten-Oktober-Tag.

Die November-Skepsis des Kindes steht im krassen Kontrast zu früher: Mit fünf oder sechs Jahren wollte das Kind das Jahr überhaupt verlängern und hat gleich zwei neue Monate erfunden: Den sogenannten Dranzen, der, wenn ich nicht irre, auf den Dezember folgt und nach Angaben des Kindes jener Monat ist, in dem traditionell „Mumien eingegipst“ wurden. (Damals stand die ägyptische Kultur bei uns gerade hoch im Kurs.) Auf den Dranzen folgt der Palsen, und gegen diesen Monat hätten Sie bestimmt nichts einzuwenden, denn im Palsen wird, so erklärte es das Kind damals, getestet, ob „die Geldscheine gefälscht sind, und falls neues Geld erfunden wird, wird es im Palsen an die Menschen verteilt“. Klingt doch gut, oder? Mit dem neu erfundenen Geld könnte man dann ganz wunderbar in den um zwei Monate verzögerten Jänner starten. Bis dahin: Genießen Sie den November, ganz ohne Blues!

E-Mails an:mirjam.marits@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2022)

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