Mein Dienstag

Wir leuchten heller allein

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Das Gefühl der Genugtuung – der Antrieb für neun von zehn Handlungen.

Es gibt da diese Szene in Regisseur Tom Fords Drama „Nocturnal Animals“ (2016), einem meiner Lieblingsfilme. Die unglücklich verheiratete Galeriebesitzerin Susan (Amy Adams) sitzt in einem Restaurant und wartet. Stundenlang. Irgendwann, das Restaurant sperrt gleich zu, wird ihr schlagartig klar, dass sie versetzt wurde. Ihr Exmann Edward (Jake Gyllenhaal), den sie um ein Treffen gebeten hatte, wird nicht kommen. Der Film endet mit einer Großaufnahme ihres versteinerten Gesichts – meiner Meinung nach eine der stärksten Szenen in der Historie des Kinos.

Rückblick: Edward schickt Susan aus heiterem Himmel das Manuskript seines neuen Romans. Sie beginnt es zu lesen und ist vollkommen fasziniert von der Geschichte. Sie kann an nichts anderes mehr denken als an ihn und das Buch. Dabei hatte sie ihn einst betrogen und verlassen, weil sie ihn nicht für kreativ und ehrgeizig genug hielt – er werde es nie zu einem Schriftsteller bringen. Das Buch ist gewissermaßen seine Rache an ihr. Indem er ihr zeigt, dass er sehr wohl einen fesselnden Roman schreiben kann, und nicht zum von ihr begehrten Treffen kommt, fügt er ihr die ultimative Demütigung zu. Subtil, gezielt, gnadenlos, grausam.

Nun werden viele sagen, dass diese Art von Vergeltung, um Genugtuung zu erlangen, kleinkariert, unreif und irgendwie auch armselig ist. Zu diesen Leuten sage ich: Machen Sie sich nichts vor! Wir alle wissen, wie sich Edward fühlt. Was in ihm vorgegangen sein muss, als ihm seine eigene Frau die Fähigkeit absprach, seiner großen, seiner einzigen Leidenschaft nachzugehen. Sein Verlangen, ihr zu zeigen, dass sie sich geirrt hat, aber keine Gelegenheit mehr bekommen wird, mit ihm darüber zu reden, ist nur allzu menschlich. Nichts daran ist unsympathisch, unsozial oder selbstverliebt.

Beweisen zu wollen, dass sich manche Leute in einem getäuscht haben, um am Ende Genugtuung zu erfahren, gehört vielleicht sogar zu den wichtigsten und ehrlichsten Antrieben unseres Handelns. „Nocturnal Animals“ seziert diese Begierde. Deswegen sehe ich ihn mir seit sechs Jahren mindestens einmal im Monat an.

E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

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