Popkritik

Libertines in Wien: Mehr Seele als Alkohol

The british rock band The Libertines performs live in Brussels Le groupe anglais The Libertines en live au Cirque Royal
The british rock band The Libertines performs live in Brussels Le groupe anglais The Libertines en live au Cirque Royal(c) IMAGO/Reporters (IMAGO/JEAN MARC QUINET)
  • Drucken

Anfang der Nullerjahre waren The Libertines die letzte stilbildende Britpop-Band – und neurotisierten diesen gewaltig. Nun sind sie wieder gemeinsam auf Tour. Im Wiener Gasometer sah man, dass es Sorgenkind Pete Doherty gut geht – und die Band trotzdem noch nervös sein kann.

Gestern hätten sie sich ein Rapid-Match angeschaut, erzählten angeblich extra aus ihrer Heimat angereiste, schon froh gestimmte Schotten im Gasometer nach dem (überflüssigen) Vorprogramm: Denn Rapid habe die gleiche Farbe wie ihre heimische Lieblingsmannschaft Celtic Glasgow . . . Diese lehrreiche Pausenkonversation erinnerte auch einen, dem Fußball ziemlich fremd ist, daran, dass dieser Sport in Großbritannien oft mit Popmusik in fruchtbarer Symbiose lebt.

Bei den Libertines meinte man das zu hören: Auf ihrem ersten Album „Up The Bracket“ (2002), das sie bei ihrer Comeback-Tournee in der ersten Konzerthälfte vollständig präsentieren, klingen immer wieder kleine Melodien an, die an Fußballhymnen erinnern. Doch sie zerbrechen sofort wieder in der Raserei dieser Songs, in denen bald für die „boys in the band“ geschrien wird, bald der Sänger „Please kill me“ oder „I'm a swine“ ruft und bald wieder luzide Entscheidungsfragen aufflackern wie: „Was it the liquor or was it my soul?“

Beides natürlich. So neurotisch und doch so wirksam war Britpop davor kaum je, danach sowieso nicht. Zu danken ist das natürlich zunächst Carl Barât und Pete Doherty, die nicht nur in ihren Texten eine verschrobene Kunstsprache für das nächtliche Reich juveniler Verwirrung fanden, sondern auch als Gitarristen einander in bittersüßen Dissonanzen ergänzen.Erinnerung an Asterix und Obelix

Innige Freunde sind sie trotz diverser Raufereien geblieben, heute wirken sie auf der Bühne wie Asterix und Obelix, was gut passt, da sie beide ein Faible fürs Gallische haben, Barât sogar einen Accent circonflexe. Doherty wiederum wohnt derzeit in Paris und soll sich dort gut erholt haben. Der Zaubertränke hatte er ja in seinem Leben genug, der Entziehungskuren auch. Und an Konzerte, die er pünktlich und ohne Zwischenfälle absolvierte, kann sich unsereins nicht erinnern.

Zu diesen beiden, in Wien stilvoll unter Bedeckung eines Hütchens respektive einer Brightonkappe angetreten, kommen, ebenfalls essenziell, Bassist John Hassall und Schlagzeuger Gary Powell, die als Rhythmusgruppe zu beschreiben krasses Understatement wäre: In der Tradition von John Entwistle und Keith Moon („The Who“) ließen sie der Gemütlichkeit keine Chance, zumindest nicht in den krachenden Miniaturen von „Up The Bracket“. Eher dann in der – strategisch originell als Zugabenblock getarnten – zweiten Konzerthälfte. Da folgten jüngere Songs der Libertines, in denen der immanente Hymnencharakter stärker zum Vorschein kommen durfte. Yeah, yeah, shoop, shoop, und so weiter. Die Straße ist lang („Gunga Din“), die Welt ist hart („Can't Stand Me Now“), die Erinnerungen an die Pubs und Clubs bleiben („Music When The Lights Go Out“). Kurz: die „likely lads“ sind wohlauf, sie schauen zurück in die Sonne.

Und die „Good Old Days“? Die Pointe des Songs – die gute alte Zeit ist genau jetzt – kam gut heraus in dieser kleinen Britpop-Sternstunde, die auch eine schöne Moral bescherte: Es muss Musikern nicht unbedingt schlecht gehen, damit sie aufregend spielen. Ist wohl beim Fußball ähnlich.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.