Glosse

Wer essen geht, soll nicht aufs Handy glotzen müssen

Dass Corona sich nicht durch Schmierinfektion verbreitet, wusste man zwar bald besser, aber die QR-Codes blieben (Archivbild).
Dass Corona sich nicht durch Schmierinfektion verbreitet, wusste man zwar bald besser, aber die QR-Codes blieben (Archivbild). (c) Getty Images (Bruna Prado)
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QR-Codes ersetzen Speisekarten. Dabei ist nachgewiesen: So geht die Geselligkeit flöten, auch für die Jungen. Nicht einmal die Wirte profitieren.

Es gibt da eine kanadische Feldstudie von 2018: Psychologen wollten wissen, wie es sich auf das Erlebnis eines gemeinsamen Essens auswirkt, wenn Smartphones auf dem Tisch liegen. Die Probanden waren Kleingruppen von Freunden, die sich in einem Lokal trafen. Die Hälfte der Tische in einem Raum, in dem man alle bat, die Handys lautlos zu schalten und wegzuräumen. Dann ließ man sie einen Fragebogen auf Papier ausfüllen und fortan in Ruhe schmausen. Nebenan sollten alle ihre Telefone empfangsbereit auf den Tisch legen, denn dort wurde die Umfrage alsbald online versandt. Im Anschluss durften sie die Geräte liegen lassen und benutzen. Am Ende befragte man jeden: Wie war's? Das Fazit: Die aus der Handy-Fraktion genossen das Zusammensein weniger, weil sie sich abgelenkt fühlten, aber auch – das kam unerwartet – mehr gelangweilt. Und das, obwohl viele ihren Digitalknochen nur noch selten oder gar nicht mehr anrührten. Noch überraschender: Junge „Digital Natives“ empfanden es genauso.

Was damals ein konstruiertes Setting war, ist heute gang und gäbe: Bevor wir der Geselligkeit frönen, müssen wir Handys konsultieren – wegen der grassierenden Unsitte, gedruckte Speisekarten durch QR-Codes zu ersetzen. Kaum versammelt, visiert jeder ein gepixeltes Quadrat auf dem Tisch an. Eine hat einen leeren Akku, der andere keine Internetverbindung. Sind endlich alle des Angebots ansichtig, glotzt jeder zehn Minuten lang gebannt auf seinen Mini-Bildschirm, sucht, klickt, wischt, seufzt. Derweilen poppen Messages auf, die nimmt man gleich mit. Wie auch danach, wenn die Geräte auf dem Tisch bleiben. Am Ende war es nicht so fein wie früher.

Natürlich in Amerika

Der Ursprung des Unfugs lag (natürlich) in Amerika, und der falschen Annahme, Corona übertrage sich durch Schmierinfektion. Das wusste man zwar bald besser, aber die QR-Codes blieben und schwappten über den Atlantik. Denn Wirte wittern Kostenersparnis (keine neuen Speisekarten drucken, wenn sich etwas ändert). Da geht noch mehr: Gäste können ja auch selbst bestellen, mit einem Klick, und per Kreditkarte zahlen, ganz ohne Kellner. Ein Amazon fürs Schnitzel im Beisl, super! Und auch ein bisserl Uber, mit volatilen Preisen (Vorsicht vor stark verbilligten Ladenhütern, die sind vermutlich unverdaulich).

Weil Betriebs-Wirte unser Gesülze über Gastfreundschaft nicht beeindruckt, verweisen wir auf New Yorker Gastronomen. Sie entdeckten, dass QR-Gäste im Schnitt um 15 bis 20 Prozent weniger konsumieren – vermutlich, weil ohne Karte der Überblick fehlt, was man noch so dazubestellen kann. Wir aber bleiben sentimental: Im Kreise unserer Liebsten zu speisen sei uns heilig. Und wer zum Ordern einen Apple der Erkenntnis braucht, ist schon aus dem Paradies vertrieben.

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