Junge Forschung

Wertgeschätzt lernt es sich besser

Haliemah Mocevic erforscht am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Uni Salzburg Strategien, um Bildungsbenachteiligungen zu beseitigen.
Haliemah Mocevic erforscht am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Uni Salzburg Strategien, um Bildungsbenachteiligungen zu beseitigen.Wildbild/Herbert Rohrer
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Psychologin Haliemah Mocevic fand heraus, welche Faktoren entscheidend sind, damit Schülerinnen und Schüler aus benachteiligten Gruppen ihre Potenziale entfalten können.

„Ich habe eine diverse Brille“, sagt Haliemah Mocevic über sich selbst. „Ich betrachte Dinge aus verschiedenen Perspektiven und schaue auf Unterschiede, die einen Unterschied machen.“ Die Psychologin, die gerade am Fachbereich Erziehungswissenschaft ihre Dissertation abgeschlossen hat, stammt aus einer international geprägten Familie. Ein Teil der Verwandten kommt aus Ägypten, ein anderer aus Bosnien. Aufgewachsen ist die 36-Jährige in Niederösterreich. „Es war selbstverständlich, dass ich in ein Gymnasium gehe, maturiere und anschließend studiere“, sagt Mocevic. Doch auch wenn ihre Beschäftigung mit Benachteiligung im Bildungswesen nicht in erster Linie aus eigener Betroffenheit stammt, ist das Thema während ihres Studiums rasch in den Mittelpunkt ihres Interesses gerückt. Immer wieder stieß sie auf Fragen der Bildungsgerechtigkeit.

Aha-Erlebnis als Schulpsychologin

Ihr Faible für Sozialwissenschaften hat sie schon im Gymnasium entdeckt: „Besonders die Widersprüche im Verhalten von Menschen haben mich interessiert.“ 2006 ging Mocevic zum Psychologiestudium an die Uni Salzburg, wo sie auch den Masterlehrgang Intercultural Studies absolvierte. Dabei trafen zwei Welten aufeinander: ein naturwissenschaftlich und empirisch geprägter Zugang und ein kritisch-diskursiver. Zwei Perspektiven, die sie noch tiefer in die Materie rund um den Kontext von sozialen Problemlagen und Bildungschancen eintauchen ließen. Und die ihr gleichzeitig klar machten, dass sie mit ihrem Wissen Menschen aus benachteiligten Gruppen bei ihrem Bildungsweg unterstützen will.

Während der Flüchtlingskrise 2015 bot sich eine praktische Gelegenheit dazu. Damals arbeitete Mocevic als Assistentin an der Pädagogischen Hochschule Salzburg in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen. Da sie neben vier anderen Sprachen auch Arabisch spricht, wurde sie als Schulpsychologin in einem mobilen Team eingesetzt, um mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. „Mir wurde bewusst, dass einfache Werkzeuge aus der Psychologie Lehrpersonen helfen könnten, den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund besser zu unterstützen“, erläutert Mocevic. „Sprachkurse sind wichtig, aber es braucht zusätzliche Lösungen, die schnell und effektiv wirken.“ Es ist nämlich nicht nur die Sprachbarriere, die Kindern aus Einwandererfamilien ihren Bildungsweg erschwert. Sondern oft sind es auch subtile psychologische Barrieren. Angloamerikanische Studien zeigen, dass kleine Interventionen rund um Selbstverständnis und Gruppenzugehörigkeit die Effekte von langfristigen Trainings übertreffen und Bildungsungleichheiten verringern können.

Für ihre Dissertation im Bereich Erziehungswissenschaft hat Mocevic nun in einer Studie mit rund 500 Schülerinnen und Schülern aus fünf Gymnasien untersucht, wie solche Interventionen dazu führen, die eigene Leistung optimal abrufen zu können oder hinter den Erwartungen zu bleiben. Dahinter stehen zwei theoretische Ansätze: Die Bedrohung durch negative Stereotype – Mitglieder einer benachteiligten sozialen Gruppe haben in gewissen Situationen Angst, durch ihr eigenes Verhalten ein negatives Stereotyp zu bestätigen – sowie die Theorie der grundlegenden psychologischen Bedürfnisse. Diese besagt, dass Menschen, die sich autonom, kompetent und sozial eingebunden fühlen, bessere Lernvoraussetzungen haben. Mocevics Ergebnis: „Sowohl der Stereotyp-Effekt als auch die Nichterfüllung von Grundbedürfnissen führen zu signifikanten Leistungseinbußen.“

Gleichzeitig kann es einen maßgeblichen Unterschied machen, wenn Lehrkräfte nicht die Unterschiede, sondern die Gemeinsamkeiten der Klasse in den Vordergrund stellen. Eine bewusst wertschätzende und inkludierende Kommunikation könne viel bewirken. Dem müssten sich Lehrerinnen und Lehrer bewusst sein, betont Mocevic, die selbst Mutter zweier Kinder ist. Sie wünscht sich, dass in der pädagogischen Ausbildung immer wieder die „diverse Brille“ aufgesetzt wird, um Perspektiven zu erweitern und Chancengleichheit zu fördern.

ZUR PERSON

Haliemah Mocevic (36) arbeitet am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Uni Salzburg. Ihr Doktoratsstudium schloss die Psychologin heuer ab. Für ihre Forschung erhielt die Niederösterreicherin, die auch ausgebildete Klinische und Gesundheitspsychologin sowie Coach ist, den Dissertationspreis für Migrationsforschung der ÖAW und den Young Investigators Award der Uni Salzburg.

Alle Beiträge unter: www.diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2022)

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