Essay

Wer nicht hassen muss, hat es gut

Der Starke empfindet gegenüber dem Schwachen eher Ekel oder Verachtung. Man hasst also von unten nach oben. Unter bestimmten Bedingungen kann Hass ein konstruktives Mittel politischer Kritik sein.

Im intellektuellen Diskurs hat der Hass, gelinde gesagt, kein gutes Image. Denkt man an die vielfach diagnostizierte Flut an Hasskommentaren in den sozialen Medien, bei denen aggressiver Feindlichkeit, etwa rassistischer oder sexistischer Natur, unter Rückgriff auf wüste Beschimpfungen oder Drohungen Ausdruck verliehen wird, oder gar an Hassverbrechen, bei denen der auf Vernichtung abzielende Charakter des Hasses seine traurige Vollendung findet, so scheint es tatsächlich mehr als angebracht, dem Hass mit unversöhnlicher Ablehnung zu begegnen.

Dem Hass als Emotion wird somit meist die Legitimität abgesprochen. Unter bestimmten Bedingungen kann Hass jedoch ein gerade in seiner Destruktivität konstruktives Mittel politischer Kritik sein. Nach einem oberflächlichen Studium der Ratgeberliteratur zum richtigen Umgang mit Hass im Netz oder im Alltag lernt man schnell, dass man auf Hass keinesfalls mit Gegenhass antworten soll. Statt sich auf dasselbe Niveau zu begeben, sollte man sich eher indifferent oder bemitleidend zeigen. Diese diskursiv bestehende Ungleichheit zwischen dem Hassenden und dem Gehassten findet sich auch in Nietzsches Konzept der „Sklavenmoral“ wieder. Hier ist es stets der Schwache, der den Starken hasst, und dem er den Stempel des Bösen aufdrückt. Umgekehrt mag der Starke Ekel oder Verachtung gegenüber dem Schwachen empfinden, wegen mangelnder Satisfaktionsfähigkeit des Schwachen aber keinen Hass. Man hasst also von „unten nach oben“.

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