Culture Clash

Damage in the mind

Eine ZDF-Doku über Katar enthüllt das schier Unglaubliche: In einem Land, das Homosexuelle verfolgt, sagen Leute auch Homophobes! Ganz Deutschland ist schockiert.

In Katar ist Geschlechtsverkehr zwischen Männern verboten, es drohen bis zu sieben Jahren Haft. Auf Basis der Scharia wird dort jeglicher außereheliche Sex bestraft, auch unter Heteros, und bei Muslimen auch mit Auspeitschen. Am gefährdetsten sind aber Schwule, jedes öffentliche Auffallen kann schon gefährlich sein. Das ist freilich nicht neu und ein Teil der Gründe, warum Katar als WM-Land eine Fehlentscheidung war.

Neu ist eine ZDF-Doku, in der am Rande einer der WM-Botschafter Katars, der Ex-Fußballer Khalid Salman, dem Sportredakteur Jochen Breyer erklärt, dass Schwule zur WM kommen dürfen, „aber sie müssen unsere Regeln akzeptieren“. Die interessante Frage wäre nun gewesen, was genau diese Regeln sind. Denn in Katar wandert man ja schon ins Gefängnis, wer öffentlich küsst (egal wen), wer eine Dose im Park wegwirft, den Mittelfinger zeigt oder öffentlich Alkohol trinkt. Was droht dann erst Homosexuellen? Bekommt ein Paar im Hotel überhaupt ein gemeinsames Zimmer? Wird es von der Polizei in Ruhe gelassen? Ist Händchenhalten ein öffentliches Ärgernis (Haftstrafe!)? Mit welchen Meinungsäußerungen ist man schon ein Islamkritiker (Haftstrafe!)?

Breyer, der meint, dass Katar Schwulen „verbietet zu existieren“, fragt nicht nach den tatsächlichen Verboten, sondern warum Homosexualität „haram“ sei. Der Ex-Fußballer antwortet in schlichtem Englisch: „Because it is damage in the mind“. Und wumms: Ganz Deutschland steht unter Schock. Selbst Minister melden sich zu Wort. Wobei nicht bemerkenswert ist, dass dieser Satz empört. Sondern dass diese völlig erwartbare Aussage das Fass zum Überlaufen bringt. Als ob man gerade noch damit hätte leben können, dass dort Schwule eingesperrt werden − aber so zu reden, das geht gar nicht! Selbst der Kalmierungsversuch des Sportvorstands des von Katar gesponserten FC Bayern ist entlarvend: Man müsse über diesen Sager reden, aber er sei vorerst ja nur eine Einzelmeinung. Also: Wenn nur die anderen Katarer still sind, ist eh alles wieder okay.

Wieso reagieren wir wie die pawlowschen Hunde auf Sager? Ist es eine Art Reinigungsritual, bei dem man in Empörungszeremonien symbolisch das Böse besiegt, um danach mit ihm auszukommen, obwohl sich nichts an den Fakten geändert hat? Oder haben wir die woke Prämisse verinnerlicht, dass die wesentlichste Repression marginalisierter Gruppen durch Sprache geschieht? Dann gibt es tatsächlich nichts Dringenderes, als das Verletzen von Denk- und Sprechtabus abzustrafen. Und man muss dafür nicht einmal die eigene Komfortzone verlassen.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2022)

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