Formel 1

Das Wetter in Afrika

Inmitten der immer globaleren Bedeutung der Formel 1 ist ein Erdteil verloren gegangen.

Der junge Rennfahrer Teo Fabi musste in der Nacht aufs Klo, oder zumindest tat er so, als müsste er aufs Klo. So beginnt eine hübsche Episode aus der Tiefe der Formel-1-Geschichte, bevor wir uns auf moderne Zeiten einlassen.

Also: Der Toilettengang kam insofern zur Unzeit, als die Grand-Prix-Fahrer gerade streikten. Sie waren mit einem gecharterten Bus (Reiseleiter: Niki Lauda) in Herrgottsfrüh von der Rennstrecke am Rand der Savanne abgehauen und hatten sich im Konferenzraum eines Hotels, fernab der Strecke, eingeschlossen. Der Schlüssel lag auf einem Teller in der Mitte des Zimmers. Wenn einer aufs Klo musste, nahm er den Schlüssel, sperrte auf, sperrte zu, ging über den Gang, sperrte wieder auf, sperrte von innen zu und legte den Schlüssel auf den Teller. Zwischendurch schlugen wildgewordene Teamchefs und zwei oder drei Gorillas an die Tür, wurden aber nicht eingelassen. Es waren auch kräftige Kerle dabei.

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null null(c) Mercedes-Benz AG

Lang bevor Teo Fabi hinaus musste, saß schon die Freundin eines anderen sehr jungen Fahrers vor der Tür und heulte, und sie heulte so lang, bis man ihren Liebsten zu einem Gespräch hinausschickte, allerdings in Begleitung eines der Piloten. Der junge Kolumbianer ließ sich überreden, zur Gruppe zurückzukehren, aber nur mit Freundin. Man beratschlagte, ließ dann auch das Mädchen ein.

Immerhin ein Klavier. Wenn der kleine Bankettraum, also das Lager der Streikenden, zwar keinen Waschraum hatte, so gab’s immerhin ein Klavier. Gilles Villeneuve und Elio de Angelis wechselten sich ab, sie spielten das, was man Boogie Woogie nannte, gepimpt mit „Rivers of Babylon“, zum Beispiel. Der Hotelmanager ließ, Tür auf, Tür zu, Snacks servieren.

Die Stimmung war also schwer okay, auch als die Meldung kam, dass die Internationale Sportbehörde eine lebenslange Sperre für die 27 ungehorsamen Grand-Prix-Fahrer verhängt hatte. Lebenslang! Billiger ging’s halt nicht.

Nach einer Nacht auf dem Boden oder im harten Gestühl erhoben sich die jungen Männer wie rheumatische Kojoten und warteten auf Nachrichten von ihren Unterhändlern draußen an der Rennstrecke. Ihre Leute waren keine Kleineren als Nelson Piquet und Didier Pironi. Sie ließen der Außenstelle (Chef im Hotel: Lauda) ausrichten: Ihr könnt zurückkommen, wir haben gewonnen, wir starten!

(c) Archiv McKLeinn

Dies ist nun ziemlich genau vierzig Jahre her. Zu den heute leider Fehlenden von damals gehören Niki Lauda, Gilles Villeneuve und Carlos Reutemann. Mehr als die Hälfte der damaligen Helden erfreut sich aber durchaus eines fröhlichen Lebens, nennen wir bloß Piquet, Keke Rosberg, Alain Prost. Jochen Mass ist natürlich auch quicklebendig, ebenso Jacky Ickx – sie waren aber die Einzigen, die mit dem Streik nichts zu tun haben wollten.

Streik also, um es kurz zu machen. Zum ersten Mal im Rennsport kam Anfang der 1980er-Jahre richtig Geld in Bewegung (wenn auch ein Klacks gegenüber heute). Die Begehrlichkeiten von Teambesitzern und Sportbehörde erwachten, der Prophet der neuen Zeit war Bernie Ecclestone. Die Fahrer sollten zu Saisonbeginn 1982 ein Papier unterschreiben, das man ruhig als Knebelungsvertrag gegenüber Grundrechten (z. B. Ausstieg, Transfer) verstehen konnte. Der Streik führte aber dann zum Verzicht auf diese Forderung und auch zur Aufhebung der „lebenslangen“ Sperren.

Chef der anderen Seite, also der „Unternehmer“, war schon damals Bernie Ecclestone, der das Brabham-Team gekauft hatte und drauf und dran war, den Zirkus nach seinen Ideen zu modellieren und eine Geldmaschine draus zu machen, wie sie die Welt im Sport noch nicht gesehen hatte.

Wenn es irgendeinen Grand Prix gegeben haben konnte, bei dem solch ein Streik als theatralische Geste passierte, dann wohl nur Südafrika, an jenem wunderbaren Hotel an der Rennstrecke von Kyalami, wo alle Fahrer auf einen Fleck zu haben waren. Sonst wo auf der Welt war das in dieser lässigen Selbstverständlichkeit nicht möglich. Zeitig in der Früh konnte man auch dreißig Sporthelden ungestört in einen Bus verfrachten.

Die Kyalami Ranch war das Hotel direkt an der Rennstrecke. Es gab einen Swimmingpool und weite Grünflächen, die an den Trainings- und Renntagen völlig zwanglos von den Rennfahrern und deren Ladys bevölkert wurden. Es mag auch Groupies gegeben haben, und Stewardessen erfreuten sich besonderer Verehrung. KLM zum Beispiel war eine hochgeschätzte Airline. Grundsätzlich tauchten die Rennfahrer aber immer mit ihren Partnerinnen auf, und führe uns nicht in Versuchung.

(c) Archiv McKlein



Wer immer ein Zimmer im Hotel ergattert hatte, war auch Teil der Szene, es gab keine Security, keine Aufpasser, auch keine Autogrammjäger, man ließ die Leute in Ruhe, es war einfach ein Idyll. Natürlich muss man auch gleich dazusagen: Es herrschte finsterste Apartheid, es war das Afrika der Weißen, und innerhalb der GP-Community kam keiner auf die Idee, dass man einen Gentleman wie Lewis Hamilton auch nur auf den Rasen lassen könnte.

Insofern haben Nostalgie der alten und Fantasie der jungen Grand-Prix-Fans ja sowieso eine schwere Delle. Es gibt kein Anknüpfen an die alten Zeiten. Was nichts dran ändert, dass es lächerlich für ein so globales Unternehmen wie die Formel 1 ist, kein Rennen auf dem Kontinent Afrika zuwege zu bringen. Im Kalender 2023 sind neun Läufe in Europa, acht in Asien, erstaunliche sechs Rennen in Amerika, eines in Australien.

Klar, nicht allzu viele der 55 afrikanischen Staaten wirken stabil für langfristige Planung (höchstens Marokko taucht als unbestimmte Größe manchmal auf), und als einziges Land mit einiger Motorsporttradition kommt sowieso immer nur Südafrika mit oder trotz seinem kolonialen Erbe ins Spiel. (Freunde der Steinzeithistorie werden vielleicht einwenden, dass es ja auch einen Grand Prix in Libyen gab – hier ist die „Tradition“ aber allein an den italienischen Faschismus gebunden, wenn auch deutsche Teams und englische Fahrer gern mitgespielt haben. Ein grelles Schlaglicht fiele allenfalls noch auf den größten – bekannten – Wettbetrug im Motorsport, das war in Tripolis 1933, und die feinsten Herrschaften waren darin involviert.)

Wir schweifen ab. Die aktuelle Formel 1 ist erfolgreicher denn je, explodierende Zuschauerzahlen an Ort und Stelle, enorme Zugewinne an Media-Maßstäben, geografische Streuung der Schauplätze wie nie zuvor. Was jetzt einmal 2023 betrifft, ist der Zugewinn in Amerika ja aufregend genug, abgesehen vom ganzen Hype in Asien von Aserbaidschan bis China.

Dabei scheint den Formel-1-Chefs der Verzicht auf klassische Terrains wie Deutschland und Frankreich ziemlich wurscht zu sein (erstaunlich, isn’t it?), es ginge ja letztlich sogar auch ohne Monaco, wenn die nicht brav funktionieren . . . mal sehen.

Mit der Schwerpunktverlagerung auf Amerika und Asien ist das schon okay, auch wenn es so überdeutlich vorrangig um die Kohle geht. Immerhin braucht’s aber doch eine Ausgewogenheit fürs weltweite Prestige, das ja, Gott sei Dank, rasant im Steigen ist – und eine Art von Heimweh, wenn zuviel Neues allzu synthetisch rüberkommt.
Also wird Südafrika immer stärker zum Ziel im Wunschdenken. Den alten Grand Prix gab’s von 1962 bis 1993, mit Pausen und Streckenumbauten. Es war eine schnelle, lange Strecke.
Jedenfalls bemühen sich die F1-Veranstalter seit zwei Jahren, Kyalami wieder in den Kalender zurückzuholen. Stefano Domenicali fuhr zweimal für ernstgemeinte Verhandlungen nach Johannesburg. Für 2023 ging es sich nicht aus, aber es scheint auf allen Seiten den Willen zu geben, die Rückkehr nach Kyalami so bald wie möglich zustande zu bringen.

Ausnahmsweise hängt die Sache nicht an der Kohle, sondern an den Vorschriften der FIA, die aber eh ziemlich wohlwollend ist. Das grundsätzliche Streckenlayout wäre eine begehrte Abwechslung zur neuen Einheitsarchitektur. Die meisten Fahrer haben sowieso eine Liebe für schnelle Passagen mit Sicht aufs freie Land, ganz in der britischen Art, als man aus den Flugfeldern der Air Force die besten Grundlagen für beschleunigten Motorsport entwickelte. Und wenn eine Kurve zufällig nach außen hing, dann war’s kein geometrischer Makel, sondern eine Challenge für tapfere Burschen.

Insofern ist es auch kein Wunder, dass wir Graham Hill, Jim Clark, Jackie Stewart und Mario Andretti in den Siegerlisten der frühen Jahre finden. Niki Lauda gewann dreimal (1976, 1977, 1984).
Bleibt natürlich noch die Frage nach Jochen Rindt. 1968 saß er noch im falschen Auto (Brabham-Repco), daher war sein dritter Platz eine Sensation (hey: hinter Clark und Hill, Jochen war also in der Weltklasse angekommen). 1969 und 1970 passte zwar das Auto (Lotus-Ford), dafür war’s sonst zum Vergessen. Für Gerhard Berger, zwei Jahrzehnte später, lief es ähnlich.

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