Geothermie

Wiens Heizung in 3000 Metern Tiefe

Stanislav Jenis
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Die Stadt will Thermalwasser tief unter der Oberfläche anzapfen, um damit 125.000 Haushalte mit Wärme zu versorgen. Eine erste Geothermie-Anlage entsteht ab 2023 in der Seestadt Aspern, bis 2030 sollen drei weitere folgen.

Wien. Schwankende Preise an der Börse, die Milliarden-Schutzschilder nötig machen, massive Verteuerung für die Kunden, oder fast 2,5 Millionen Tonnen an Co2-Emissionen, die durch das Heizen der Wiener Gebäude in die Atmosphäre geblasen werden – es gibt viele Gründe, warum die Wien Energie „raus aus Gas“ möchte.

Mit der ersten Geothermieanlage in Wien, die ab 2026 mittels unterirdischer heißer Quellen die Wiener Haushalte mit Wärme versorgen soll, will man der Energiewende einen großen Schritt näher kommen. „Alles was wir hier tun, ist der Klimaneutralität untergeordnet“, sagte der Wiener Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke am Montag bei einem Pressegespräch gemeinsam mit den Wien Energie-Geschäftsführern Michael Strebl und Karl Gruber.

Man habe einen „Schatz unterhalb von Wien liegen“, der es erlaube, emissionsfrei und saubere Wärme zu produzieren. Der Schatz, das ist eine in 3000 Meter Tiefe liegende, wasserhaltige Gesteinsschicht, die mittels Bohrungen angezapft werden soll. Dieses 20 Millionen Jahre alte, sogenannte „Aderklaaer Konglomerat“ erstreckt sich von der Donau in Wien übers Marchfeld bis zur slowakischen Grenze.

Das in dieser Schotterschicht enthaltene Thermalwasser ist heiß: „Mit 100 Metern Bohrtiefe erhöht sich die Temperatur um jeweils drei Grad. Damit kommt man, wenn man 3000 Meter tief bohrt, auf etwa 100 Grad Celsius“, erklärte Gruber. In mehreren, 30 Zentimeter dicken Leitungen soll das Wasser nach oben geführt werden. In Geothermie-Anlagen erzeugt dieses mittels Wärmetauscher die Energie für das Fernwärmenetz, um dann abgekühlt in einer zweiten Bohrung wieder in die Tiefe geleitet zu werden. Ein „unerschöpfliches“ Wärmereservoir, zumindest nach menschlichen Maßstäben, sagte Gruber.

Langer Weg zur heißen Quelle

Schon 1974 bohrte die OMV auf dem Gebiet der heutigen Seestadt Aspern nach Öl und Gas – und stieß dabei auf Wasser. Es sollte aber einige Jahrzehnte dauern, bis diese heiße Quelle wieder interessant wurde. Nachdem 2012 erste Geothermie-Pläne nach gescheiterten Bohrungen vorläufig begraben wurden, versuchte die Wien Energie 2016 noch einen Anlauf. Mit der OMV und allen relevanten Forschungsinstituten Österreichs, von der Montanuni Leoben bis zur ZAMG, wurde der Wiener Untergrund eingehend erforscht und ein 3D-Modell der unterirdischen Schichten erstellt.

Mit Erfolg: 2023 starten also die Vorarbeiten bei der ersten Geothermieanlage im südöstlichen Teil der Seestadt Aspern, 2024 sollen die ersten Bohrarbeiten beginnen, 2026 schließlich die Anlage in Betrieb gehen und die ersten 20.000 Haushalte versorgen.

Neben der Seestadt sollen in Folge noch drei weitere Anlagen entstehen, wiederum in der Donaustadt sowie in Simmering, da dort das Aderklaaer Konglomerat die erforderliche Dicke für die Bohrungen habe, hieß es am Montag. Bis 2030 sollen so 125.000 Wiener Haushalte mit einer Gesamtleistung von bis zu 120 Megawatt versorgt werden.

Vorausgesetzt natürlich, dass das Genehmigungsverfahren, das ebenfalls kommendes Jahr über die Bühne gehen soll, positiv abgeschlossen wird. Davon geht die Wien Energie derzeit aus. Mit Auswirkungen der Bohrungen auf das Ökosystem an der Oberfläche sei aufgrund der Tiefe nicht zu rechnen. Auch das Grundwasser, das meist zwischen zehn und 40 Metern unter der Oberfläche liegt, soll nicht beeinflusst oder gar verschmutzt werden, heißt es, da das Aderklaaer Konglomerat „völlig isoliert“ in der Tiefe liege.

72 Millionen aus Cashflow

Mit 80 Millionen Euro Projektkosten rechnet die Wien Energie. Das Klimaministerium übernimmt acht Millionen Euro über Förderungen, den Rest will man aus dem laufenden Geschäft finanzieren „Wir haben einen Cashflow von ungefähr 250 Millionen Euro per anno. Wir gehen davon aus, dass wir diesen Betrag aus dem Cashflow finanzieren können“, sagte Strebl.

Die Tiefengeothermie sei ein „Meilenstein in der Energiewende“, sagte der Wien-Energie-Chef. Durch das großflächig vorhandene Fernwärmenetz müsse man nicht jedes Haus umbauen, sondern „nur die Quelle dekarbonisieren.“ Dennoch: Nur ein Viertel der Fernwärme-Kunden können von der Wärme aus der Tiefe versorgt werden. Der Rest der Fernwärme, die noch zu mehr als der Hälfte in Gaskraftwerken produziert wird, soll bis 2040 zu grob je einem Viertel durch die Abwärme von Industriebetrieben, durch die Müllverbrennung und durch mit Wasserstoff betriebene Wärmekraftwerke erzeugt werden, sagte Strebl.

Und dann gibt es noch jene 440.000 Haushalte, die mit Gasthermen heizen. Eine Strategie, wie man die loswird, will die Wien Energie noch heuer vorlegen.

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