G20-Gipfel

Russland gerät in Bali unter Druck

Sergej Lawrow
Sergej LawrowIMAGO/SNA
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Der Entwurf für die Erklärung enthält eine Aufforderung zu einem Kriegsende in der Ukraine: Und die bisherigen Moskau-Unterstützer China und Indien blockieren nicht.

Russland gerät knapp neun Monate nach Beginn seines Kriegs gegen die Ukraine auch in der G20-Runde führender Wirtschaftsmächte unter Druck. Beim Gipfel in Nusa Dua auf der indonesischen Insel Bali verzichteten bisherige Unterstützer wie China und Indien darauf, eine gemeinsame Abschlusserklärung zu blockieren. In dem am Dienstag praktisch fertig ausgehandelten Papier heißt es: "Die meisten Mitglieder verurteilen den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste."

Was "die meisten" genau heißt, wird darin offen gelassen. Auch Moskau will die Erklärung mittragen - weil darin ausdrücklich betont wird, dass nicht alle G20-Länder die Verurteilung teilen. Das Papier soll an diesem Mittwoch zum Abschluss des Gipfel von den 20 Delegationen verabschiedet werden.

Bisher hat Chinas Staatschef Xi Jinping den russischen Präsidenten Wladimir Putin nahezu uneingeschränkt unterstützt. Der Kremlchef ließ sich auf dem Gipfel von Außenminister Sergej Lawrow vertreten. Dieser blieb auch während einer Videobotschaft des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Saal.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sprach am Rande des Gipfels kurz mit dem russischen Außenminister. "Er stand in meiner Nähe und hat auch zwei Sätze gesagt. Das war das Gespräch", sagte Scholz nach den ersten beiden Arbeitssitzungen, damit kein falscher Eindruck von der Länge des Austauschs entstehe. Er zeigte sich zufrieden mit den ersten Ergebnissen des G20-Treffens, trotz der "Rahmenbedingungen, die bedrückend sind".

Einen "Diktat-Frieden aus der Perspektive Russlands" will Scholz nicht akzeptieren. Grundlage für Friedensverhandlungen müsse sein, dass "Russland seinen Angriffskrieg beendet und seine Truppen zurückzieht", so der SPD-Politiker am Dienstag bei einer Pressekonferenz.  Voraussetzung für den Erfolg von Gesprächen sei der "Moment, in dem Russland einsieht und akzeptiert, dass es jetzt aus dieser Situation herauskommen" müsse. Wenn sich die G20-Staaten auf ihrem Gipfeltreffen auf eine Warnung gegen den russischen Einsatz von Atombomben in der Ukraine einigen würden, wäre dies nach Einschätzung von Scholz ein wichtiger "Haltepunkt" für Moskau.

„Es gab andere Auffassungen"

Konkret wird im Entwurf der Abschlusserklärung aus einer Resolution der Vereinten Nationen zitiert, der 141 der 193 UNO-Mitglieder zugestimmt hatten. Damit wird Russland aufgefordert, die Kriegshandlungen einzustellen und seine Truppen sofort aus der Ukraine abzuziehen. Auf Russlands Position wird vor allem mit dem Satz eingegangen: "Es gab andere Auffassungen und unterschiedliche Bewertungen der Lage." Russland akzeptiert demnach auch, dass der russische Angriff als Krieg bezeichnet wird und nicht - wie von Putin vorgegeben - als "militärische Spezialoperation".

Lawrow bestätigte, dass die Arbeit praktisch abgeschlossen sei. "Unsere  westlichen Kollegen haben auf jede erdenkliche Weise versucht, diese Erklärung zu politisieren, und sie haben versucht, Formulierungen reinzuschmuggeln, die eine Verurteilung der Handlungen der Russischen Föderation im Namen der ganzen G20 implizieren würden, einschließlich uns selbst", sagte er nach Angaben der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS. Der Entwurf enthalte nun sowohl die westliche als auch die russische Sichtweise auf den Krieg in der Ukraine.

Schon Drohung mit Atomwaffen unzulässig

Russland stimmt auch zu, dass in der Abschlusserklärung nicht nur der Einsatz von Atomwaffen, sondern auch die Drohung damit als unzulässig bezeichnet wird. Zuletzt hatte die völkerrechtswidrige Annexion von vier besetzten ukrainischen Gebieten Sorgen vor einem russischen Atomwaffeneinsatz geschürt. Militärisch war Russland zuletzt immer stärker unter Druck geraten - Putin musste etwa mehrere wichtige besetzte Städte räumen.

Der ukrainische Präsident betonte in seiner Videoansprache an die G20, für ein mögliches Ende des Krieges seien ein Abzug der russischen Truppen und eine Wiederherstellung der territorialen Unversehrtheit seines Landes nötig. Für die Ukraine seien "effektive Sicherheitsgarantien" notwendig, sagte er laut Manuskript.

Selenskyj forderte auch eine Verlängerung des unter Vermittlung der Türkei und der UNO geschlossenen Abkommens über den Export von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer. Die G20 unterstützten die Forderung im Entwurf ihrer Abschlusserklärung. Russland hatte ukrainische Lieferungen blockiert.

Russisches Getreide und Düngemittel sind nicht direkt von den westlichen Sanktionen betroffen. Aber Moskau beklagt sich seit Monaten, dass ihre Ausfuhr effektiv eingeschränkt sind, weil die Sanktionen den Zugang zu Häfen, Finanzen und Versicherungen beschränken. Die USA und Europa hätten UNO-Generalsekretär Antonio Guterres zugesichert, russischen Getreideexporten keine Steine mehr in den Weg zu legen, sagte der russische Außenminister nach einem Gespräch mit Guterres.

Das Dokument warnt des weiteren, dass der Krieg nach Auffassung der meisten G20-Mitglieder die Probleme der Weltwirtschaft verstärke und zum Beispiel das Wachstum schwäche und die Inflation steigen ließe. Die G20-Staaten zeigen sich beunruhigt wegen des hohen Schuldenstands vieler Entwicklungs- und Schwellenländer. "Wir sind besorgt über die sich verschlechternde Schuldensituation in einigen gefährdeten Ländern mit mittlerem Einkommen", heißt es in dem Entwurf.

Ohne dass China namentlich erwähnt wird, heißt es darin, es sei wichtig, dass alle offiziellen und privaten bilateralen Gläubiger zusammenarbeiten sollten. Zudem wird mehr Transparenz gefordert, die für private und staatliche Gläubiger gelten soll. Hintergrund sind Sorgen, dass China über die Regierung, Provinzen und Privatfirmen riesige Kreditsummen an mittlerweile hoch verschuldete Entwicklungsländer vergeben hat, aber selbst keinen Überblick mehr über das Volumen hat.

Xi ruft zur Einigkeit auf

Chinas Staatschef Xi Jinping rief die G20 in der Auftaktsitzung zur Einigkeit auf. Konfrontation solle durch Kooperation ersetzt werden. Die Weltwirtschaft werde angesichts etwa der Corona-Pandemie  anfälliger. Das geopolitische Umfeld bleibe angespannt. Die Krisen von Ernährung und Energie verstärkten sich gegenseitig.

Der chinesische Staatschef hatte sich am Montag vor Beginn des G20-Gipfels auf Bali rund drei Stunden lang intensiv mit US-Präsident Joe Biden ausgetauscht. Es war das erste persönliche Gespräch seit Bidens Einzug ins Weiße Haus vor rund zwei Jahren. Zuletzt waren die Beziehungen als eisig beschrieben worden. Peking verfolgt zwar eine harte Linie, versucht aber trotzdem, die Beziehungen zu den USA und der EU zu verbessern, um die eigene Entwicklung voranzubringen.

(APA/Reuters/dpa/AFP)

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