Wort der Woche

Landnutzungsänderungen als Treiber des Artensterbens

Forscher konnten nun erstmals die relative Bedeutung der Treiber des Artensterbens beziffern: Landnutzungsänderungen sind viel folgenreicher als der Klimawandel.

Um die Biodiversität auf der Welt ist es schlecht bestellt: Das Artensterben verläuft derzeit zehn- bis hundertmal (manche Forscher meinen sogar tausendmal) schneller als im Durchschnitt der vergangenen zehn Millionen Jahre. Der Weltbiodiversitätsrat IPBES sieht eine halbe bis eine Million Arten weltweit vom Aussterben bedroht.

Der Kampf gegen den Biodiversitätsschwund ist freilich nicht einfach zu führen. Denn die Ursachen sind vielfältig und innig miteinander verquickt, sodass man kaum weiß, über welchen Hebel man die stetige Verschlechterung positiv beeinflussen könnte. Eine große Forschergruppe unter der Leitung von Pedro Jaureguiberry (Universität Córdoba, Argentinien) und Nicolas Titeux (Helmholtz-Zentrum UFZ Halle, Deutschland) mit Beteiligung von 16 weiteren Institutionen aus aller Welt ist dabei nun einen Schritt weitergekommen. In jahrelanger Arbeit wurden mehr als 45.000 Studien zum Thema durchkämmt und am Ende 163 Untersuchungen ausgewählt und ausgewertet, die seit Jahrzehnten die Biodiversität und die Ursachen von Veränderungen dokumentieren.

Die Zusammenschau all dieser Daten brachte nun ans Licht, dass zwei Faktoren dominant sind: zum einen Nutzungsänderungen von Naturräumen – v. a. die Umwandlung von Wäldern, Grünland und Feuchtgebieten in Agrar- und Bauland; und zum anderen die ausbeuterische Nutzung wild lebender Tiere und Pflanzen – z. B. durch Holzeinschlag, Jagd und Fischerei oder Handel mit Wildtieren. Von geringerer Bedeutung sind dagegen Umweltverschmutzung, Klimawandel und die Invasion gebietsfremder Arten (Science Advances, 9. 11.).

Im Detail differiert die Bedeutung dieser fünf Haupttreiber für den Biodiversitätsschwund in verschiedenen Kontinenten, Lebensräumen und Dimensionen der Vielfalt (Arten, Lebensräume, Populationen etc.) etwas; der Klimawandel z. B. spielt in den Ozeanen eine größere Rolle als an Land. Doch das große Bild ist den Forschern zufolge klar – und damit auch die zentralen Botschaften an die Umweltpolitik. Zum einen: So wichtig der Kampf gegen den Klimawandel auch ist, so reiche die derzeitige Konzentration auf dieses Thema bei Weitem nicht aus, um auch die Biodiversitätskrise wirksam zu bekämpfen. Zum anderen bedürfe es eines ganzheitlichen Ansatzes und einer Verknüpfung der verschiedenen Einflussfaktoren – für die derzeit getrennte Politiksphären zuständig sind.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2022)

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