Redebedarf

"Yo!": Gesprächsstoff für Eilige

100 Rätsel der Kommunikation, Folge 16. Manchmal ist mit dem Gruß schon das Wichtigste gesagt. Vor allem in Brasilien.

Das Tollste beim Reden: Man muss gar nichts sagen. Also es hilft natürlich, wenn beim Gespräch ein paar Wörter tatsächlich den Mund verlassen. Aber, welche das genau sind, ist in 90 Prozent der Kommunikationsanlässe ziemlich wurscht. Das nennt man dann: Beziehungsebene.

Die Wissenschaft hat längst festgestellt, dass man sich genauso gut das Fell kraulen könnte, statt miteinander zu reden. Wenn da nicht diese soziale Konvention wäre, die das nur in Extremfällen zulässt. Lassen Sie sich beispielsweise mal von einem Linguisten Ihre ersten Dates mit Ihrem aktuellen Lebenspartner oder Ihrer Lebenspartnerin transkribieren. Viel Gehaltvolles war wahrscheinlich nicht dabei, unterstelle ich einmal. Man wirft sich Wörter hin und her, schaut, ob die Frequenz eh passt, als würde man wie früher vor einem CB-Funkgerät sitzen. Dabei geht es nur darum auszuprobieren, ob man sich überhaupt noch Wörter hin und herwerfen kann. „Phatische Kommunikation“, sagt die Linguistik dazu. Denn solange der Kanal noch offen ist, ist die Beziehung entweder intakt oder noch zu retten. Deshalb sollte man auch den Kanal erst einmal aufmachen, wenn man etwas loswerden will. Dabei hilft etwa ein nettes „Hallo erstmal“. 

Den Kommunikationskanal, den schmiert man ständig, zu allen Leuten, zu denen man glaubt auch eine soziale Beziehung zu haben. Die Schmiermittel sind: Small-Talk, Floskeln und vor allem auch - Grußformeln. Für den Fall, dass man einmal einen gut geschmierten Kommunikationskanal brauchen sollte, wenn wirklich was Wichtiges auf der Zunge brennt. Bis dahin reicht manchmal ein joviales „Na?“ am Gang im Büro oder ein paar vehemente „Na, sowas. Was machst denn du da?“ am Schauplatz der zufälligen Begegnung. Geredet wird eben hauptsächlich, damit überhaupt geredet wird. Das funktioniert übrigens auch digital. Es gab mal eine App, mit der konnte man dem digitalen Gesprächspartner nichts anderes hinüberschicken als ein „Yo!“. Wirklich wahr. Und wenn der andere nicht zurückge-Yo!-t hat, dann war es höchste Zeit, einmal anzurufen und zu fragen, ob eh alles ok ist. Die App gibt es leider nicht mehr. Yo, schade.

Brasilianische Verhältnisse

Es wird auch gegrüßt, damit einfach gegrüßt wird. Weil, wenn nicht gegrüßt wird, dann ist die soziale Beziehung im Krisenmodus. Oder man kennt sich einfach noch nicht gut genug, dass man sich jetzt schon grüßen könnte. Das ist natürlich von Kultur zu Kultur verschieden. Es gibt Kulturen, in denen beinahe die Hälfte der Kommunikation aus Grüßen besteht. Das sind jene Länder, in denen man theoretisch auch den Busfahrer zum Abschied umarmen dürfte, wenn man aussteigt. Und wenn man länger als zwei Stunden mitgefahren ist, würde es auch nicht auffallen, wenn man sich nach 100 Meter noch einmal umdreht, um zu winken. In Brasilien dauert die Begrüßung so lange, dass für ein Gespräch oft gar keine Zeit mehr bleibt. Zumindest, wenn man es noch rechtzeitig zur Verabschiedung schaffen will. Das gilt vor allem bei zufälligen Begegnungen. Wer es eilig hat, sollte im Bedarfsfall die Gehsteig-Seite wechseln und ein digitales „Yo!“ schicken. Sonst wird es schwierig, Busse zu erreichen. Das liegt manchmal an den Bussen, die nicht kommen. Oder daran, dass die Passanten auf den falschen Strauch oder die falsche Laterne gezeigt haben, nachdem man nach der Busstation gefragt hat.

Aber noch öfter wird man aufgehalten. Denn es gibt im Brasilianischen beinahe 50 verschiedene Arten „Na, wie geht’s?“, „What's up“, „Yo!“ oder „Schön Dich zu sehen“, zu sagen. Und meistens werden alle Grußformeln nacheinander benutzt. Außer man muss schneller zur Verabschiedung kommen, weil der Bus einfährt. Auch wenn das Ritual gut zehn Minuten gedauert hat, ist man sich am Ende etwas unsicher als Europäer: War das jetzt schon ein Gespräch? Oder nur der Anfang plus das Ende davon? Das Schöne: Es ist egal. Hauptsache, man hat geredet.

100 Rätsel der Kommunikation

Norbert Philipp bespricht in dieser Kolumne die dringendsten Fragen der digitalen und analogen Kommunikation: Muss man zu Chatbots höflich sein? Wie schreit und schweigt man eigentlich digital? Heißt „Sorry“ dasselbe wie „Es tut mir leid“?. Und warum verrät „Smoke on the Water“ als Klingelton, dass ich über 50 bin.


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