EP-Vizepräsident Othmar Karas kritisiert Vorstöße seiner Parteikollegen zu Menschenrechten und Schengen scharf. Die Vermischung mit dem Asylthema sei unsäglich.
In der ÖVP ist ein offener Streit über den Umgang mit den derzeit stark steigenden Asyl- und Migrationszahlen ausgebrochen. „Fassungslos“ sei er über manchen Vorstoß von Parteikollegen, betonte der Europaabgeordnete und Vizepräsident des Europaparlaments, Othmar Karas, am Mittwoch gegenüber Journalisten in Straßburg. Österreichs Regierung droht mit einer Blockade bei der geplanten Abstimmung zur Schengen-Erweiterung um Kroatien, Bulgarien und Rumänien beim Rat der Innenminister am 8. Dezember.
Zwar hat Kanzler Karl Nehammer die Vetodrohung seines Innenministers und Parteikollegen, Gerhard Karner, in Bezug auf Kroatien zurückgenommen. Doch die Angelegenheit sorgt in Brüssel wie Straßburg für reichlich Irritationen – zumal über den Schengen-Beitritt im Gegensatz zu Informationen aus der Bundesregierung wohl im Dreierpaket abgestimmt wird. „Ich bin über die österreichische Blockadedrohung äußerst verwundert. Alle drei EU-Mitglieder erfüllen die Bedingungen für die Aufnahme in den grenzfreien Raum“, so Karas. Das Europaparlament hat deren Aufnahme deshalb bereits mit großer Mehrheit zugestimmt. Auch alle ÖVP-Abgeordneten stimmten zu.
Nehammer: Ja zu Kroatien
Bei seinem Besuch am Mittwoch in Zagreb stellte Nehammer nach einem Treffen mit dem kroatischen Regierungschef Andrej Plenković in Zagreb klar, dass Österreich die Schengen-Aufnahme Kroatiens nicht blockieren werde. Nur wenige irreguläre Migranten würden über Kroatien kommen, aber 40 Prozent über die Route Türkei, Bulgarien, Rumänien und dann Ungarn. Die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien werde deshalb abgelehnt.
Noch ein weiterer Punkt sorgt bei Karas für Ärger. Am Dienstag hatte Burgenlands ÖVP-Chef, Christian Sagartz, seine Unterstützung für das Ansinnen von Klubchef August Wöginger unterstrichen, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) in Asyl- und Migrationsfragen zu überdenken, ohne dabei auf konkrete Punkte einzugehen. „Menschenrechte sind für das Europäische Parlament nicht verhandelbar“, so Karas. Er sprach sogar von „rückwärtsgewandten Forderungen“.
Am meisten stört den langjährigen Europaparlamentarier aber, dass einige seiner Parteikollegen die Aussagen zur EMRK und Schengen mit den Asylzahlen in Zusammenhang bringen. „Es ist unsäglich, diese Dinge zu vermischen. Das hat nichts miteinander zu tun.“ Gebot der Stunde sei vielmehr eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik auf Basis des im September 2020 vorgelegten Vorschlags der EU-Kommission. Im Europaparlament gebe es die „große Bereitschaft zu einem Schulterschluss“, betonte Karas.
Eine bessere Sicherung der Außengrenzen mit einer ordentlichen Registrierung und Unterscheidung in Flüchtlinge und Migranten, ein gemeinsames EU-Asylsystem und der Kampf gegen Schlepper gehören nach Ansicht des ÖVP-Politikers ebenso zum nötigen Gesamtpaket wie ein gemeinsamer Solidaritätsmechanismus und die Bekämpfung der Fluchtursachen. Derzeit scheitere eine Einigung aber am politischen Willen der Mitgliedstaaten, kritisiert Karas. „Es wäre nun Österreichs Chance, voranzugehen. Auf Egoismus, Eigenprofilierung und Taktik müssen wir verzichten. Es ist ernst.“ Dass sein Parteichef, Nehammer, seinerseits versucht, das Problem illegale Migration in einem trilateralen Schulterschluss mit Serbien und Ungarn – von wo zurzeit die meisten Migranten nach Österreich einreisen – zu lösen, hält Karas für wenig zielführend. „Es sollte nicht den Anschein haben, als würden wir Sonderwege gehen“, mahnt er. Der Hintergrund: Serbien gewährt mehreren Ländern, die den Kosovo nicht anerkennen, Visafreiheit – weshalb der Flughafen Belgrad zur Drehscheibe für Migranten mit dem Ziel EU wurde. „Was Serbien macht, ist eines Landes, das EU-Mitglied werden will, unwürdig“, so Karas.