Experimente

Hoffnung auf Menschen mit Ideen und Gemeinsinn

Klimaschutz hängt nicht nur an technischen, sondern auch an sozialen Innovationen – an neuen Praktiken, Geschäftsmodellen und Formen der Kooperation. In Österreich existieren einige Initiativen, die sich darin ausprobieren. Eine Studie beschäftigt sich mit ihren Wirkungen.

Der Frustration, die die UN-Klimakonferenz hinterlassen hat, und dem großen Scheitern beim Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energien stehen viele kleine Erfolge und viel Engagement auf der Ebene regionaler Initiativen gegenüber. Wenn etwa im oberösterreichischen Losenstein das bereits geschlossene Lebensmittelgeschäft im Ortszentrum wieder geöffnet wird, weil der frühere Betreiber zusammen mit seinen Kunden und Lieferanten eine Genossenschaft gründet, könnte dies modellhaft sein.

Man hält dem Druck der Supermarktkonkurrenz stand und etabliert eine Nahversorgung mit regionalen, unverpackten Produkten und kurzen Transportwegen. Ums EGG lautet der sprechende Name der Dorfgenossenschaft im Ennstal. „Die Initiatoren führten ihre Kontakte zu regionalen Bauern mit dem alten Kundenstock des Greißlers, aber auch mit früheren Kontakten aus dem Großhandel zusammen und brachten sie neu in Verbindung“, sagt Wolfgang Haider, Sozialwissenschaftler am Zentrum für Soziale Innovation (ZSI).

Ein anderes Beispiel gefällig? Wenn sich im Bregenzerwald 14 Haushalte vier Wochen lang bemühen, ihren CO2-Fußabdruck zu verringern, tragen sie zumindest indirekt zur Senkung der Treibhausgasemissionen bei. Konkret versuchte die Gruppe, die sich mit Bezug auf die Pariser Klimaziele Paris – Vorderwald nennt, ihr Verhalten in den Bereichen Mobilität, Energienutzung, Ernährung und Konsum zu verändern. Man habe dabei durchaus langfristige Wirkungen angestrebt, sagt der Stadt- und Regionalforscher Johannes Suitner vom Institut für Raumplanung der TU Wien. „Auf Grundlage des Experiments wurden politische Empfehlungen ausgesprochen und künftige Maßnahmen mit Entscheidungsträgerinnen und -trägern erörtert. Klar kommuniziert wurden hier auch die Grenzen individueller Verhaltensanpassung und die Notwendigkeit von systemischen Veränderungen.“

Als zukunftsträchtig kann auch gelten, wenn in Pressbaum ein gemeinschaftliches Wohnprojekt die Anpassung an den Klimawandel nicht nur durch Holzbauweise und Fotovoltaik realisiert, sondern auch durch eine Lebensmittelkooperative und geteilte Mobilität (Carsharing). Laut Haider und Suitner bringt sich das Wohnprojekt B.R.O.T.-Pressbaum mittlerweile als gut verankerter Akteur aktiv in regionale Debatten um die Weiterentwicklung der Gemeinde ein.

Die beiden Wissenschaftler untersuchten zusammen mit ihrem Team in einer vom Klima- und Energiefonds geförderten Forschungsarbeit eine große Zahl solcher „sozialen Klimaexperimente“ – Initiativen und Projekte, die Lösungen für eine nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweise erproben. Ausgangspunkt war ein umfassendes Screening von über 50 Datenbanken und 1400 experimentellen Projekten mit Schwerpunkt Klima und Nachhaltigkeit. Daraus wurden Experimente mit einem besonders sozial innovativen Ansatz ausgewählt. 116Projektverantwortliche stellten sich schließlich einer ausführlichen Befragung zu den Zielen und Wirkungen dieser Klimaexperimente. Ein Schwerpunkt der Studie liegt auf den Ressourcen, die für sozial innovative Experimente zur Verfügung stehen. Beim Löwenanteil der Projekte (91Prozent) erwiesen sich als wichtigste Treiber persönliche Netzwerke und berufliche Kontakte, wofür etwa die Losensteiner Dorfgenossenschaft ein Beispiel ist. An zweiter Stelle (81Prozent) wurden das Wissen über den Ort und seine Entwicklungsherausforderungen genannt, danach der Erfahrungsaustausch mit anderen experimentellen Projekten und finanzielle Unterstützung.

Plattform zur Vernetzung ist geplant

Die Studie ist Teil eines Forschungsprojekts zu transformativen Klimaexperimenten mit dem Namen Siamese (Social Innovation for Adaptation and Mitigation. Experimentation for Transformative Climate Governance). Neben dem Abschlussbericht, der für September 2023 geplant ist, soll laut Haider in den kommenden Monaten auch eine Vernetzungsplattform für Klimaexperimente geschaffen werden. „Sie wird vor allem an der Schnittstelle von Politik und Zivilgesellschaft stehen – mit dem Ziel, dass es neue Initiativen künftig leichter haben und politische Entscheidungsträgerinnen und -träger etwas aus der Fülle an Wissen mitnehmen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2022)


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