Energietechnik

Fossile Energie aus den Wärmenetzen verbannen

Eine komplett CO2-freie Wärmeversorgung – das ist die Vision eines Grazer Forschers. Er entwickelte dafür ein Simulationstool, mit dem bestehende Wärmenetze optimiert und neue klimafreundlich geplant werden können. Pilotprojekte wurden bereits umgesetzt.

Dass die Preise für fossile Energie derart in die Höhe schnellen, müsse eigentlich nicht sein, sagt Stefano Coss. Er spricht damit wohl vielen Österreicherinnen und Österreichern aus der Seele. Mitverantwortlich für den Preisschub sind seinen Forschungsergebnissen zufolge die Energieverluste, die in Nah- und Fernwärmenetzen aufgrund der Struktur dieser Netze entstehen. Da ließe sich sparen, ist er überzeugt – und damit könne auch ein Beitrag zur Dekarbonisierung und zum Klimaschutz geleistet werden.

Der Energietechniker nennt ein Beispiel, warum Netzbetreiber gezwungen sind, mehr Energie einzuspeisen und damit mehr Brennstoff zu verbrauchen, als eigentlich erforderlich wäre: „An ein typisches Wärmenetz sind zahlreiche Häuser angeschlossen, darunter sowohl Altbauten als auch neu errichtete Objekte. Die Bewohner benötigen die angelieferte Energie zur Warmwasseraufbereitung und zum Heizen. Radiatoren in Altbauwohnungen erfordern jedoch eine wesentlich höhere Vorlauftemperatur als eine Fußbodenheizung im Neubau.“ Die Temperatur im Netz müsse sich nach den höheren Werten richten und liefere daher an einen Teil der angeschlossenen Wohnungen viel mehr Wärme, als diese eigentlich brauchen. Zudem müsse die Wärmeversorgung rund um die Uhr sichergestellt sein, selbst wenn zu bestimmten Zeitpunkten nur wenige Anschlüsse die Energie tatsächlich verwenden.

Alle 15 Minuten wird Bedarf übermittelt

Hier setzt das von Coss zum Teil bereits während seiner Forschungsaufenthalte in Italien und Frankreich entwickelte Optimierungstool an: „Anhand von Daten, die in Echtzeit einerseits bei den Heizwerken und andererseits an den Übergabestationen in den Häusern erhoben werden, wird ein digitaler Zwilling des Netzes erstellt. Künstliche Intelligenz eruiert unter Berücksichtigung zahlreicher Faktoren – unter anderem des Wetters oder auch des Wochentags – den tatsächlichen Wärmebedarf in den folgenden Stunden und Minuten. In weiterer Folge werden die idealen Einspeiseparameter berechnet und in 15-Minuten-Abständen an den Betreiber übermittelt. Dieser kann dann das Heizwerk entsprechend regeln.“

Coss und das vor zwei Jahren von ihm in Graz gegründete Unternehmen Arteria Technologies (gefördert von der Austria Wirtschaftsservice, AWS) stellen eine Plattform im Internet zur Verfügung, bei der sich Netzbetreiber anmelden können, um diese Werte einzusehen. Digitale Zwillinge können aber nicht nur von bereits bestehenden Netzen erstellt werden. Coss: „Es ist auch möglich, Daten für noch nicht existierende Netze einzugeben und damit energieoptimiert zu planen.“ So wie das in Wien bereits gemacht wurde: Im Zuge einer Quartierentwicklung im zweiten Bezirk wurde das quartierinterne Niedertemperatur-Nahwärmenetz mit dem Tool von Arteria im Rahmen eines Pilotprojekts analysiert. Es soll mit bis zu 20 Prozent weniger Energie auskommen.

Auch international ist das System des Grazers bereits im Einsatz: „Die Stadtwerke in den Schweizer Städten Genf und Lugano wollen ihre Netze optimieren und analysieren ihre Daten mithilfe des digitalen Zwillings“, berichtet Coss. „Und Brüssel will ein neues Wärmenetz damit planen.“

Spitzenlasten nicht mehr fossil abfangen

Fossile Energie soll damit aus den Wärmenetzen verbannt, die Integration von Energie aus erneuerbaren Quellen erleichtert werden. „Bei der Optimierung geht es ja vor allem darum, die Spitzenlasten abzufangen, und diese werden derzeit fast immer aus fossilen Quellen bedient.“ Da die Forschung die Einsparungsmöglichkeiten in den Bereichen Mobilität und Strom bereits seit vielen Jahren auslote, sei es an der Zeit, auch die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung weiter voranzutreiben. Mit dem Verbot von Gasheizungen in Neubauten ab dem kommenden Jahr und der Umrüstung bestehender Gas-, Öl- und Kohleheizungen auf umweltfreundliche Energieträger sei es nicht getan, um die angestrebte Klimaneutralität Österreichs bis 2040 zu erreichen. Auch die Wärmenetze, die ständig ausgebaut werden und damit in Zukunft eine immer größere Rolle spielen, müssten „grüner“ werden.

In Zahlen

1300 Kilometerlang ist das Fernwärmenetz in Wien. Es ist eines der längsten in Europa. 420.000 Wohnungen werden damit versorgt.

1Mio. Haushalte,ein Viertel aller Privaten, sind in Österreich an Wärmenetze angeschlossen.

10Prozent der CO2-Emissionen eines durchschnittlichen österreichischen Haushalts werden durch netzgebundene Wärmeversorgung verursacht. Weit mehr Schadstoffe entstehen durch Gas- und Ölheizungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2022)

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