Wie die Lichtflecken im Wald vor uns hertanzen, tanzt nicht auch das Bild, das wir uns von unserem Leben machen?
Spectrum

Gedankensplitter von Peter Rosei: In Dantes Wald

Der Weg, wie er bisher vor uns lag, war voll der Verheißungen. Jetzt, kommt mir vor, liegt er plötzlich voller Hindernisse. Unsere Probleme sind ganz andere geworden, wie es scheint. Tatsächlich haben die Ungeheuer ringsum wohl nur geschlafen – jetzt sind sie aufgewacht.

Aus nichts wird nichts. – Dieser Satz, ernst genommen: wahrlich ein guter Einstieg ins Denken. (Vielleicht, überleg mal, gäb's sonst kein Universum.)

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Wissen und glauben: Wir müssen die beiden stets auseinanderhalten. Am besten lässt sich der Zusammenhang vielleicht in einem Bild fassen: Zwischen Wissen und Glauben rinnt ein breiter Fluss. Finden wir auf unsere Fragen hier keine Antwort, setzen wir über den Fluss und rufen uns von dort die Antworten zu.

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Wenn wir glauben, erscheint alles in einem anderen Licht. Ähnlich bei der Liebe: Lieben wir, steigt die Temperatur, es wird Frühling, könnte man sagen, und das gefrorene Meer in uns, von dem Kafka spricht, bekommt Risse.

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„Das ganze Unglück der Menschen rührt daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen“, heißt es bei Blaise Pascal. Zwar ist dieser Satz nicht so platt aufzufassen, wie er daherkommt – Pascal meinte nämlich, die Menschen versuchten durch ständige Aktivität den bedrängenden Gedanken an Krankheit, Verlassenheit und Tod zu entgehen, statt sich damit auseinanderzusetzen – und da ist etwas dran. Wir nehmen uns hier aber die Freiheit, den Satz umzudrehen und uns zu fragen, was er dann leistet: „Das Unglück der Menschen rührt daher, dass sie ständig in ihrem Zimmer bleiben.“ Wer immer nur daheim sitzt, kann, wie man weiß, leicht den stark grassierenden Infekt einfangen, dass er zuletzt so sehr daheim ist, dass er niemand mehr um sich herum dulden mag, der nicht ebenso daheim ist wie er selbst: daheimer als daheim.

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Das Flackernde des Lebens, das wir so gern zur Erzählung fügen wollen. Es gibt ja solche, die ihren Frieden mit der Welt gefunden oder zumindest gemacht haben. Windstille der Seele, wie Nietzsche das nennt. Verwechselt mir das nicht mit der gewöhnlichen Dumpfheit! Vom Wind aufgepeitschtes Wasser oder Blattwerk, grünes Laub, im Sonnenlicht von einem Lüftchen bewegt: bald hell, bald dunkel. Und jetzt mach eine Geschichte daraus, eine Geschichte, die, wie man sagt, Hand und Fuß hat, die irgendwohin führt.

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Bist du noch nie einen Waldweg fortgegangen, oben diese fein gestickte, bewegliche Kuppel aus Ästen und Blättern: Fallen nicht da und dort Lichter auf den ansonst dunklen Weg? Mir kommt vor, der Weg, den wir zu gehen haben, ist meistenteils dunkel; selten nur breitet er sich hell und freundlich vor uns. Fraglos und ohne Probleme sind wir kaum einmal. Wie diese Lichtflecken im Wald auf dem Weg vor uns hertanzen, tanzt nicht auch das Bild, das wir uns von unserem Leben machen, uns zu machen versuchen, irrlichternd vor uns her?

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Ich kenne keinen Fluss, der nicht aus vielen Quellen gespeist würde: Da gibt es klares und reines Wasser, aber auch trübes und schmutziges, das sich im Fortgang strähnig mit dem anderen verrührt und vermischt. Lass das Wasser über ein paar Steine rinnen, bald wird es wieder klar sein.

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Wir hören nicht bloß mit den Ohren, sehen nicht nur mit den Augen. Vielmehr hören und sehen wir mit unserer ganzen Körperlichkeit, fast möchte ich sagen: mit unserem In-der-Welt-Sein. Ob uns das zum Glück oder zum Unglück ist oder wird, wer will das entscheiden.

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Ist es nicht seltsam, dass die sogenannten großen Geheimnisse sich uns als Banalitäten präsentieren? Wir machen Liebe, weil es so schön ist? Ja. Wir machen Liebe, weil wir nicht anders können. Wir sterben, weil wir hinfällig sind. Der Tod, das ist doch nur ein Wort.

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