Im Roman „Der Nachlass“ von Evelyn Grill fürchtet eine Frau um ihr Gedächtnis. Nicht ganz zu Unrecht.
Wenn das Gehirn Parallelwelten ausbildet, muss man aufpassen, dass man diese nicht durcheinanderbringt. Wenn die Fantasie beginnt, einem „böse Streiche zu spielen“, dann ist äußerste Vorsicht geboten. Schwieriger wird es allerdings, wenn die Außenwelt beginnt sich zu verwirren. In dieser Lage befindet sich eine 80-jährige Frau, die ihre Tage seit einiger Zeit vor allem in einem alten Lehnsessel verbringt. „Es hieß plötzlich, sie solle geschützt werden. Ihr Leben sei in Gefahr, sobald sie sich auf die Straße und zum Einkaufen begebe.“ Man ahnt es: Es ist Lockdown. Die Putzhilfe kommt zwar noch, aber wer weiß, wie lange. Mit ihr sitzt die alte Frau dann auf dem Balkon (immerhin hat sie einen) bei Kaffee und Kuchen, im gesetzlich vorgeschriebenen Abstand, und wundert sich, dass das Leben der Alten, ihr Leben, auf einmal so wertvoll und schützenswert sein soll.