Wort der Woche

Algenzucht

Europa forciert nun die Algenzucht und will damit einen neuen Industriezweig aufbauen, der praktisch keine Beeinträchtigungen der Umwelt verursacht.

Die EU-Kommission hat dieser Tage eine Algenstrategie veröffentlicht. Ja, Sie haben richtig gelesen: Die EU will die Algenzucht ankurbeln. Denn Algen gelten zum einen als gesunde Lebensmittel, die in großen Mengen produziert werden können – sie (ver)brauchen keinen Dünger, kein Süßwasser und keine Landflächen. Zum anderen sind sie ein Rohstoff für wertvolle Produkte wie Kosmetika oder Arzneimittel. Der europäische Markt für Algenprodukte wächst jährlich um sieben bis zehn Prozent, der Großteil muss derzeit importiert werden.

Neben dem Züchten von Mikroalgen in High-tech-Anlagen sind dabei insbesondere Makroalgen wie Seetang, Meersalat oder Nori-Algen (Sushi) interessant. Die Produktion in Europa beschränkt sich derzeit auf das Ernten von wild wachsendem Seetang an der Atlantik- und Nordseeküste. In Asien hingegen, wo Algen traditionelle Lebensmittel sind, gibt es bereits große Aquakulturen. Diese sind sehr Know-how- und arbeitsintensiv. Um auch in Europa erfolgversprechend zu sein, werden nun hocheffiziente automatisierte Produktionssysteme entwickelt.

Fragt sich freilich, ob man sich durch das Forcieren der Algenzucht nicht auch neue Probleme einhandelt. Das hat eine Forschungsgruppe um Gianluca Bizzaro (Uni Stavanger) untersucht – und zwar in einem umfassenden „One Health“-Ansatz, der Umwelt- und Gesundheitsaspekte gemeinsam betrachtet (Environment International 158, 106948). Die Forscher förderten unzählige Aspekte zu Tage. Etwa dass Seetang Umweltschäden lindern kann, indem die Algen dem Meerwasser Stickstoff und Phosphor (die von überdüngten Feldern ausgeschwemmt wurden) sowie CO2 entnehmen (und dadurch der Versauerung entgegenwirken); andererseits kann eine zu intensive Algenzucht lokal zu Sauerstoffmangel im Wasser führen. Oder: Viele Algen-Inhaltsstoffe gelten als gesundheitsförderlich; allerdings reichern sich in den Pflanzen auch Schwermetalle und Iod an. Ein sozialer Aspekt: Algenzucht kann neue Einkommenschancen in strukturschwachen Küstenregionen schaffen.

Auch wenn noch so manche Frage offen ist, fällt das Fazit der Forscher positiv aus: Meeresalgen-Aquakultur könnte eine Lösung für den steigenden Nahrungsbedarf der Menschheit bieten. Gleichzeitig erfüllt sie die Nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO und hat – bei gutem Management – so gut wie keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2022)

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