Schlager

Roland Kaiser, Erotomane alter Schule

27.11.2022 Der deutsche Schlagers�nger Roland Kaiser bei einem Konzert auf der B�hne in Wien. 1-874 *** 27 11 2022 Germ
27.11.2022 Der deutsche Schlagers�nger Roland Kaiser bei einem Konzert auf der B�hne in Wien. 1-874 *** 27 11 2022 Germ(c) IMAGO/Bernd Alfanz (IMAGO/Bernd Alfanz)
  • Drucken

Der seit 1976 erfolgreiche Roland Kaiser machte auf seiner Geburtstagstournee zum Siebziger nun auch in der Wiener Stadthalle Station. Befund: Sein Schlager tröstet und berät noch immer. Nicht zuletzt in erotischen Zwangslagen.

Früher war nicht alles besser, der deutsche Schlager schon. Seit vor etwa 25 Jahren dessen letzte Mutation passierte, geht es im Genre nur mehr um von Marschierpulver-Techno angetriebene Partystimmung. Dieses verzweifelte Bemühen um gute Laune lässt natürlich auch Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Verfasstheit zu.
Roland Kaiser, dessen erster Hit „Frei – das heißt allein“ auf 1976 datiert, hat es als einer der wenigen Protagonisten der Zeit, als Schlager noch für Trost und Rat in schwierigen Lebenslagen stand, geschafft, sich in die Gegenwart zu hieven. Nur Vicky Leandros und Howard Carpendale haben das ähnlich souverän praktiziert. Auf die allgegenwärtige stumpfe Tekkno-Anmutung verzichtet Kaiser. Zuweilen tändelt er mit House-Rhythmen und Rockgitarren, aber in der Hauptsache setzt er auf eine echte Streicherabteilung, Klavier und Orgel, Saxofon und Akkordeon.
Inhaltlich bleibt Kaiser den früher üblichen Grübeleien treu. In den Sechziger- und Siebzigerjahren verbarg sich im Schlager so manch eine lebensphilosophische Sentenz. „Alles was man will, das kann man nicht haben“, sang etwa Rocco Granata einst. Und: „Sehnsucht wirst du immer im Herzen tragen.“ – eine ethische Unterweisung war das.

Die Parallele zu Iggy Pop

Kaiser agiert ähnlich. Schon im Opener seines Wien-Konzerts setzte er dem machtvollen Dröhnen seiner siebenköpfigen Band gewichtige Gedanken entgegen. „Es ist alles okay, was im Leben passiert und im Grunde egal“, sang er: eine prächtige Losung gegen in den sozialen Medien grassierenden Narzissmus. Man wolle in den nächsten zweieinhalb Stunden Liebe und Leben aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten, rief Kaiser in den Jubel. Auffällig im Gesamtwerk des im Stile eines Elder Statesman auftretenden Berliners ist, dass ihn das Thema der erotischen Versuchung schon jahrzehntelang begleitet. Das hat er mit Punk-Pionier Iggy Pop gemeinsam, der dies auf seinem gerade neu aufgelegten Chanson-Album „Après“ so beschreibt: „Wie jeder Mann werde ich fortwährend durch die Parade schöner Frauen auf der Erde gequält und erfrischt. Es ist unmöglich, sie alle zu treffen, diese Situation bedingt eine Art Kreislauf der Niederlage und der Resignation.“ Kaiser ist gleichfalls seit Jahrzehnten hin- und hergerissen. So zählte sein patinierter Hit „Manchmal möchte ich schon mit dir“, wo er verzweifelt seines Nächsten Weib begehrt, zu den intensivsten Momenten des Konzerts. Wie gerne würde der Protagonist eine Nacht lang mit seiner Angebeteten „das Wort Begehren buchstabieren“! Viele Fans sangen mit feuchten Augen mit, im Wissen, dass sich nicht jede Verliebtheit realisieren lässt. Am Ende verzichtet der Held darauf „unerlaubte Wege zu gehen“, denn er weiß: „Wir würden zu viel riskieren, du verlierst den Mann, ich den Freund.“ Reinen Gewissens ging es also wieder ins kleinbürgerliche Schachterl . . .
Soweit, so gut, im Hit von 1982. Im Jahr 2022 sieht die Sache anders aus. Im funky Discoschnalzer „Du, deine Freundin und ich“ setzte er sich als Erotomane alter Schule in Szene. Fest zu einer Ménage-à-trois entschlossen, lud er zu „Knabbereien und Wein“, um das Über-Ich zu besänftigen und Details eines Abenteuers zu besprechen. Sodann tagträumt er vom endlos weiten Spielfeld, wo es reuelos in die Vollen geht. „Lassen's geschehen, lassen uns gehen, ohne einen Hauch Verbindlichkeit.“ Mit 70 Jahren hat die Sünde ihren Schrecken verloren. Die Saxofonistin mit dem zinnoberroten Haar spielte jetzt, um französische Atmosphäre bemüht, Akkordeon.

Ein „Dirty old man“? Nein!

Bei aller Last der Jahre, ein Oldies-Act ist Kaiser noch lange nicht. Er brachte zwei Drittel seines aktuellen Albums „Perspektiven“, darunter „Wir spielten immer ohne Regeln“, wo er versichert, dass es für ihn nie ein Tabu gegeben habe. Natürlich durfte auch das Glaubensbekenntnis „Gegen die Liebe kommt man nicht an“ nicht fehlen, mit Ratschlägen wie: „Du brauchst 'nen Mann, der dein Feuer steuern kann.“ Das überwiegend weibliche Publikum akzeptierte das freudig, vielleicht weil er auch sang: „Ich brauch 'ne Frau, die mich handhaben kann.“
Umjubelte Rückgriffe des Abends waren „Schachmatt“, „Santa Maria“ und natürlich „Joanna“. Liebe hin oder her, dieser Mann ist kein „dirty old man“, eher das, was Funklegende Rufus Thomas einmal über sich selbst sagte: „an oversexed senior citizen“. Aller Schlüpfrigkeiten zum Trotz agierte Kaiser würdig. Deshalb gilt er zurecht als Instanz von der Statur eines Udo Jürgens. Sein Publikum darf sich freuen, am 2. Juli 2023 wird er vor der schönen Kulisse des Schlosses Schönbrunn gastieren.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.