Skifahren in Liechtenstein

Der Schnee ist sein Geld wert

Ski fahren in Liechtenstein, nicht die allernächste Idee. Das Vergnügen hat aber etwas von Kanada, 23 Pistenkilometer und Zweitausender gibt’s auch.

Al Raine ist der Ehemann der kanadischen Riesenslalom-Olympiasiegerin von 1968, Nancy Greene, und ein amerikanischer Skipionier. Als er noch keine 70 war, hat er uns bei einer Liftfahrt einmal den Unterschied zwischen dem kanadischen und europäischen Zugang zum Skifahren erklärt: „Beginnt es zu schneien, ziehen sich die Europäer zum Wellnessen ins Hotel zurück.

Die Kanadier hingegen legen ihre Arbeit nieder und stürmen auf die Piste.“ Und nun, etwa zwölf Jahre später? Ist es Sonntagmorgen, halb acht Uhr. Wir starren aus dem Hotelfenster auf die Pisten von Malbun, dem einzigen Skigebiet des Fürstentums. Fünf Lifte, 13 Abfahrten, 23 Pistenkilometer. Und was sehen wir? Nichts. Alles grau in grau, undurchdringlich durchwoben von Schneeflocken. Ski fahren? Gern! Aber nicht wir. Zumindest nicht jetzt.

Tiefschnee, ein Traum

Um elf Uhr stehen wir dann auf der Piste. Und stellen fest: Keine Frage – Liechtenstein ist wie Kanada. Es schneit und schneit – und was haben die Locals gemacht? Sie sind bereits stundenlang Ski gefahren. Und wie! Als seien sie alle eine Hanni oder ein Andy Wenzel, ein Willi oder Paul Frommelt oder ein Marco Büchel oder eine Tina Weirather (nur um ein paar von Liechtensteins Skiberühmtheiten zu nennen).

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Alles ist schon umgepflügt, was umzupflügen ist. Die roten und schwarzen Abfahrten avancierten bereits zu veritablen Buckelpisten, nur auf den blauen lässt sich der wunderbare Neuschnee ohne Krafteinsatz genießen. Wobei das Wort Genuss angesichts von null Sicht leicht übertrieben klingt. Doch wenn es zwischendurch kurz aufklart, hüpft das Herz bei jedem Buckelpistenbuckel vor Freude.

Und zwischen all den Pisten? Liegen wunderbarste Tiefschneehänge. Verlockend – bis sich unser Schnellster in der Truppe in einen kleinen Gegenhang bohrt. Noch ehe wir ihm helfen können, schwingt ein junger Snowboarder bei ihm ab, sagt „Hoi!“ und schaufelt ihn frei. Snowboarder – Snöber sagt man hier in Liechtenstein.

Rund 22 Stunden später

Die Liechtensteiner sind doch keine Kanadier! Denn an diesem Montag arbeiten sie doch, anstatt Ski zu fahren. Und so erleben wir den schönsten Tag seit Jahren, denn: keine Leute auf den Pisten von Malbun. Die zudem keine Pisten sind, sondern Teppiche. Gestern Abend wurden sie glatt präpariert, über Nacht hat es 15 Zentimeter feinsten Flaum draufgeschneit – und heute stehen die Hänge bei sechs Grad plus uns und einigen wenigen (vermutlich handelt es sich dabei um die Friseure und Friseurinnen des 65-Einwohner-Orts, deren Salons montags geschlossen haben) exklusiv zur Verfügung.

Jeder einzelne Schwung auf diesem Daunenterrain mutet an wie Tiefschnee­fahren auf der Piste.
Ganz besonders reizvoll sind die roten Abfahrten Waldtobel Nr. 6 und Nr. 9, vielleicht haben auch Lady Di und Prinz Charles sie bei ihrem Malbun-Skiaufenthalt im Jänner 1985 durcheilt. Auf alle Fälle kurvte hier garantiert bereits die Liechtensteinische Fürstenfamilie herum.

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Fein sind auch gegenüber, auf der anderen Seite des Dorfes, die drei „Roten“ von der Sareis-Sesselbahn hinunter, bei welcher bereits die Auffahrt einen betörenden Anblick bietet: Legföhren überall. Durch diese sagenhafte Latschenplantage zu cruisen ist auf Ski und Board freilich verboten, Artikel 19 des Waldgesetzes sieht dafür 300 bis 1000 Franken Strafe vor.

Konten und Kanten

Es ist übrigens das erste Mal, dass wir uns in Liechtenstein tummeln, wir besitzen bedauerlicherweise auch keinen Briefkasten dort. „Deutschlands Super-Reiche zieht es wieder nach Liechtenstein!“, berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ vor Kurzem. Dabei lohnt es sich doch seit 2008 nicht mehr so recht, als damals internationaler Druck das Fürstentum zwang, irgendetwas gegen Finanzbetrug und Geldwäsche zu unternehmen.

Zurückzuführen war dies auf den Liechtensteiner Heinrich Kieber, der vermutlich die berühmten Steuer-CDs verscherbelte. Doch so ganz sicher ist man sich auch heute noch nicht. Jahrelang lebte Kieber als „österreichischer Finanzier im Ruhestand“ unter dem Namen Daniel Wolf in Australien, und vielleicht ist er ja immer noch dort und fährt Ski zwischen Eukalyptusbäumen.

»Wenige Leute auf den Pisten. Dafür aber gern bei Schneefall.«

Ob auch andere dubiose Personen während ihrer Liechtensteinaufenthalte vor 2008 hier gecarvt haben, darf bezweifelt werden. Aber manche Geschichten sind gut für Gags.
Gar nichts von Gags hält Stefan Erne, Liechtensteins „Produktentwickler Berggebiet“, den wir in der Mittagspause besuchen und der vieles zu berichten weiß: Etwa, dass erstmals 1956 auf Initiative des Skiklubs ein Lift installiert wurde, ein simpler Schlepper. Dass 80  Prozent der Gäste aus der Schweiz kämen, der Rest komme aus Österreich, Deutschland und Luxemburg.

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Und dass man aber nicht ganz genau wisse, wie die Besucherzahlen sich entwickeln würden, „denn nicht alle Hotels melden ihre Zahlen“. Auch ein Thema ist hier, dass die Bergbahnen sich nicht selbst tragen würden und deshalb „immer wieder finanziert werden müssen“. Und dass man für die Zukunft zwar schon einen Ausbau des Skigebiets plane – aber die Verbindung mit Österreich etwa wurde bisher immer abgelehnt. Was die Hotellerie betreffe, stünden keine neuen Bauten an – „da wir keinen Massentourismus ­wünschen“.

Familien, eine Zielgruppe

Dass die Benutzung des Kinderparks kostenlos ist, gehört zur Skistrategie der Liechtensteiner, die vor allem auf Familien abziele, sagt Erne: „Es ist ein kleines Skigebiet, aber für Familien perfekt, denn man kommt immer unten an, man kann die Kinder nicht verlieren, und das schätzen die Eltern sehr.“
Auch Erwachsene wie wir. Wobei der Reisestart nach Malbun mit zwei kleinen Pannen begann.

»Ausbau und Massentourismus – beides ist hier nicht gefragt.«

Zuerst wollten wir uns rasch etwas über Liechtenstein ausdrucken, wir dachten an vier bis fünf Seiten, Zwergstaat halt. Doch es hörte nicht mehr auf – bei 50 Seiten war der Drucker noch immer nicht fertig. Und dann noch das Geld: Da Liechtenstein eine Zollunion mit der Schweiz bildet, reisten wir mit den vom letzten Aufenthalt übrig gebliebenen Schweizer Fränkli an und wünschten damit die erforderliche Autobahn-Vignette zu bezahlen. Doch die Scheine wurden von der Schweizer Verkäuferin wieder zurückgeschoben. „Die sind alt und nicht mehr gültig. Die müssen Sie in einer Bank umtauschen.“

Liftmasten mit Botschaft

Da reist man ins Finanz-Dorado Liechtenstein – mit ungültigem Geld. Wo dort das Monetäre doch so eine gewichtige Rolle spielt. Schon während der Liftfahrten wird auf den Stütz­pfeilern geworben: „LGT – Die Fürstenhaus-Privatbank Ihres Vertrauens“ oder von der Konkurrenz mit Sprüchen wie „Wir halten Dein Geld in Form“ plus einem Foto eines rasanten Ski-Cracks.


Doch auf den Liftmasten gibt es auch Reklame für Nachhaltigkeit: „Hey“, heißt es, „diese PET-Flasche hält 500 Jahre!“ So eine Flasche, diese Flasche, denken wir. Ötzi hat fünf Mal so lang gehalten! Seit Jahren erklären wir allen, die zwecks Skiurlaub in ein kleines Resort nach Kanada fliegen wollen, dass es auch weitaus näher geht, etwa in Osttirol. Gut erreichbar, mit feinen Pisten und wenig Menschen. Seit heute wissen wir, was wir noch antworten, falls wir wieder nach Kanada gefragt werden: Es geht auch Malbun! Denn in Liechtenstein ist es im Schnee noch unbevölkerter – während der ­Werktage.

Info:

Anreise: Mit dem Auto ab Wien: etwa 685 km, mit der Bahn Wien–Sargans.

Skifahren: Lage auf 1600
bis 2000 m, 5 Lifte, 23 km
präparierte Pisten, 13 Abfahrten,
skiurlaub.li, bergbahnen.li

Einkehren: Sareiser Hütte: am Ausstieg der Sareisbahn, urig. Tipp: Sareiser Rösti kosten – Kartoffeln, Speck, Käse, Zwiebeln, Spiegelei. sareis-malbun.li

Unterkunft: „Gorfion“ in Malbun: Familienhotel mit Kids-
Anfänger-Ski-Terrain vor der Haustür. 20 Suiten. gorfion.li

Infos: Malbun: malbun.li
Liechtenstein Tourismus:
tourismus.li

("Die Presse Schaufenster" vom 25.11.2022)

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