Morgenglosse

Monsieur Michels törichte Reise nach Peking

Der im Alleingang lancierte China-Besuch des Präsidenten des Europäischen Rates war schon vor Beginn der dortigen Proteste keine gute Idee. Wenn er jedoch jetzt dazu schweigt, droht der EU eine Blamage.

Im Foyer des Ratsgebäudes in Brüssel thront eine, ebenso in jenem der Europäischen Kommission gegenüber: auf die Urkunde, welche vor genau zehn Jahren die Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU dokumentierte, ist man in Brüssel sehr stolz. Und auch zu Recht: zwar verblassen die Errungenschaften des europäischen Einigungswerks um die Schaffung und Sicherung des Friedens in Europa (genauer betrachtet: in Westeuropa) mit jedem Jahr, doch weltweit sucht man weiterhin ein derart wirksames politisches Modell, um einst verfeindete Nationen brüderlich zu einen.

Dieser Nimbus verpflichtet die gegenwärtigen Amtsträger der EU zu besonderer Strenge, wenn es um die Menschenrechte geht - auch und vor allem in Übersee. In diesem Lichte war die Entscheidung von Charles Michel, dem Präsidenten des Europäischen Rates, am Donnerstag nach Peking zu reisen, schon vor der Eskalation der Bürgerproteste in zahlreichen chinesischen Städten am vergangenen Wochenende eine problematische Idee.

Warum problematisch? Weil Michel nicht plant, bei seinem Treffen mit Chinas Führer Xi Jinping die Menschenrechte auch nur pro forma anzusprechen. „Vor dem Hintergrund eines angespannten geopolitischen und wirtschaftlichen Umfelds ist der Besuch eine zeitgerechte Gelegenheit sowohl für die EU als auch für China, sich miteinander zu befassen. Die Führer der EU und Chinas werden globale Herausforderungen ebenso wie Themen von gemeinsamem Interesse diskutieren“, ließ Michel schmallippig mitteilen. Im Klartext: die stacheligen Themen der Konzentrationslager für die Uiguren, der Niederschlagung der Demokratie in Hongkong oder klandestinen chinesischen Polizeistationen zur Kontrolle und Einschüchterung von Exilchinesen in zahlreichen europäischen Staaten wollte Michel lieber nicht mit Xi ansprechen.

Nach dem Aufwallen der landesweiten Proteste gegen Xi und die Kommunistische Partei ist dieser Reiseplan Michels allerdings nicht mehr bloß problematisch, sondern grotesk. Wie will er jenem Mann, gegen dessen totalitären Umgang mit dem eigenen Volk sich immer mehr Stimmen aus demselben erheben, über „Themen von gemeinsamem Interesse“ parlieren? Zumal Xi die Proteste nun brutal niederschlagen lässt. Die Parole der roten Diktatur: „feindliche Kräfte“ müssten nun niedergeschlagen werden.

Abgesehen davon sind die engsten (und wohl ziemlich einzigen) Alliierten der EU derzeit darum bemüht, die Volksrepublik zu isolieren. Der neue britische Premierminister Rishi Sunak sprach am Dienstag vom „Ende der goldenen Ära“ zwischen dem Vereinigten Königreich und China. Und die USA machen auf ihre europäischen NATO-Partner Druck, gegenüber Peking härtere Bandagen anzulegen.

Michel hat in Peking folglich nichts zu gewinnen. Absagen kann er die Reise nun nicht mehr. Den Mut, die erschütternde Menschenrechtslage in China anzusprechen, traut ihm niemand zu. Ihm droht folglich zumindest ein sinnloser, im schlimmsten Fall gar peinlicher Auftritt - und damit der EU, die so gerne als Weltmacht wahrgenommen werden möchte, eine erneute Ernüchterung.

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