Ein Stück vom Paradies

Stephan Grotz hat ein Buch aus der verschollenen Bibliothek von Walter Benjamin entdeckt – es ist das einzige. In einem bibliophilen Band wird das thematisiert.

Für den Büchersammler ist nämlich die wahre Freiheit aller Bücher irgendwo auf seinen Regalen.“ Dies formulierte ein Philosoph, der stets hemmungslos seiner Bibliophilie frönte: Walter Benjamin. Das Zitat stammt aus dessen Essay „Ich packe meine Bibliothek aus“, in dem er sich 1931 an die Erwerbung exquisiter Exemplare erinnerte. Doch zwei Jahre später war es mit der Freiheit für Bücher genauso vorbei wie mit der Freiheit für deren Besitzer. Erstere wurden verbrannt, Letztere verfolgt.

Benjamin begab sich im März 1933 ohne seine Bücher auf die Flucht, die er in der Berliner Prinzregentenstraße zurückließ. Doch sie blieben unbehelligt, weil er die Wohnung inklusive Bibliothek als Inventar weitervermieten konnte. Nachdem wichtige Manuskripte aus seiner Feder nach Paris, dem Ort seines Exils, geschafft worden waren, wurden im Herbst 1933 fieberhaft Pläne zur Rettung der Bücher geschmiedet. Es war Bertolt Brecht, Inhaber einer Immobilie in Svendborg, der die Lösung bot – unter Mithilfe der Wiener Autorin Maria Lazar, die auch nach Dänemark emigriert war. Brecht teilte Ende 1933 mit: „die adresse für die bücher ist: Maria Lazar, Skovsbostrand per Svendborg.“ Der laut Benjamin gewichtigere Part der Bibliothek ging bald ab. Grundlage für die Bücher-Triage war wohl seine Einteilung der Sammlung in eine „erste“ und eine „zweite“, wie der Religionshistoriker Gershom Scholem mitteilt: „Die erste enthalte nur Schriften, denen er erstrangige Bedeutung zumaß.“ Mitte März 1934 waren die Kisten vor Ort.

Margarete Steffin, ebenfalls Evakuierungsgehilfin, schrieb: „die bücher sind da! 469 kg.“ In mehreren Sommern, die Benjamin bei Brecht weilte, konnte er mit den Bänden arbeiten. 1938 ließ er seine gedruckten Lieblinge nach Paris überführen. Der in Berlin verbliebene „zweite“ Teil der Bibliothek wurde im April 1939 an einen unbekannten Ort verbracht. Benjamin nahm sich am 26. September 1940 im spanischen Grenzort Portbou auf der Flucht das Leben. Da es keine Spur von den rund 3000 Bänden aus Benjamins Besitz gab, investierte der Stuttgarter Antiquar Herbert Blank lange Jahre in eine Rekonstruktion der Bibliothek mit allen Werken, die Benjamin je besessen, zitiert, rezensiert, brieflich erwähnt oder aufgelistet hat. Doch jüngst hatte Stephan Grotz, Philosophieprofessor in Linz und in seiner Bücherliebe geistesverwandt mit Benjamin, unverschämtes Glück.

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