In den Dunkelzonen der Gewalt

Vom Spießbürgertum ins Gefecht: Ursula Krechels Roman „Der Übergriff“.

„Halt's Maul“, nein wirklich: „Halt's Maul“. Immer und immer wieder rumort diese Stimme in ihrem Kopf, sobald sie nur den Mund aufmacht. Woher diese internalisierte Peinigerstimme stammt, bleibt ungewiss. Aber dass sie auf schlechte Erfahrungen zurückgehen dürfte, liegt auf der Hand, zumal die Ich-Erzählerin in Ursula Krechels mit psychologischem Raffinement geschriebener Erzählung genauestens für sämtliche Regungen körperlicher, seelischer und verbaler Gewalt geeicht ist. Seien es ritualisierte Peitschenhiebe eines Jungenspiels, Gaffer, die einen beim Hochhieven von Koffern lustvoll ins Visier nehmen, oder Fernsehbilder aus Krisengebieten – „alles war mit einer Vernichtungsenergie angefüllt“, die die Frau mit Gleichmütigkeit wahrnimmt. Sie hat gelernt, „übermäßig schweigsam“ zu sein und dem Unrat des Lebens mit einem an Selbstaufgabe grenzenden „Einverständnis“ zu begegnen.

Ein Gesicht machen, das gefällt

Um offenbar nicht an der Leere zu verzweifeln, vertreibt sie sich ihre Zeit mit Reisen. Auf einem Schiff trifft sie einen Mann, den sie fortan nur den „Visitenkartenbesitzer“ nennt. Sie zieht zu ihm, igelt sich in eine spießbürgerliche Existenz ein, bis sie schließlich wieder auszieht. Erst nach einem Aufenthalt in einem Kriegsgebiet kehrt sie in die eigenen vier Wände zurück. Noch immer dröhnt es in ihrem Ohr, aber die Sicht auf die Stimme, die ihr stets widerstrebte, hat sich gewandelt: „Bliebe die Tür aber offen, dann gäbe es keinen Eindringling, sondern möglicherweise einen Gast.“

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