Ärzte und Pfleger pendelten wie Botschafter der anderen Art zwischen Erkrankten und Angehörigen.
Spectrum

Wir wären so gern da gewesen!

Die Pandemie hat Existenzen und Einkommen vernichtet. Das wissen wir. Aber es fehlt ein Gespür für weniger eindeutige, schwer quantifizierbare Verluste. Für Nähe, die uns fehlte. Für Abschiede, die uns verwehrt wurden.

Kürzlich fand sich im Lokalblättchen einer kleinen Gemeinde, nicht weit von Tübingen entfernt, eine Todesanzeige eigener Art, berührend und verstörend zugleich. Man trauere um den Verstorbenen, so hieß es hier. Und wolle sich nun gemeinsam seiner erinnern. Alle seien herzlich zur Abschiedsfeier eingeladen. Allerdings gab es keinen Hinweis auf einen konkreten Ort oder ein Begräbnis, keine Adresse eines Friedhofs, absolut nichts. Nur eine Zoom-Meeting-ID und einen Kenncode für die virtuelle Begegnung an einem Samstagnachmittag im Herbst ab 14 Uhr.

Der Bildschirm, das iPad, der eigene Rechner – all das verwandelt sich hier in etwas, was die Internetsoziologin Sherry Turkle ein „evokatives Objekt“ nennt. Sie bezeichnet mit diesem Ausdruck Objekte, die uns zum Nachdenken zwingen. Die tiefgründige Reflexionen auslösen. Und die durch ihre schlichte Existenz und ihre Dominanz als Virtualisierungsmaschinen der Lebenswirklichkeit große, schwer zu beantwortende Fragen hervorbringen: Sie handeln von der Realität des Virtuellen, der Natur der Intimität und dem Wesen von Begegnungen.

Diese Fragen lauten zum Beispiel: Wie wichtig ist die körperliche Präsenz, bildet sie – zumindest in existenziellen Situationen – so etwas wie das Eigentliche? Und was fehlt, wenn Beerdigungen gestreamt werden, letzte Worte und Wünsche über Facetime geäußert werden, Kerzen „nur“ online angezündet werden? Was geht verloren, wenn man sich nur am Bildschirm sieht? Wie lässt sich dieser besondere „Rest“ der realen, physischen Zusammenkunft fassen, der eben nicht digital vermittelbar ist? Natürlich ist das Zoom-Meeting anstelle einer Beerdigungsfeier ein Extrembeispiel, zumal in einem Moment, da die Kontaktbeschränkungen längst aufgehoben sind. Aber es scheint mir gleichzeitig auch als ein Symptom dafür, dass es die neue, postpandemische Normalität noch nicht gibt. Es ist eine Zwitter-Zeit, die wir aktuell erleben. Eine Phase der suchenden Neuorientierung.

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