EU-Bahnverkehr

Jon Worth: „Wir brauchen eine Bahn für alle“

Liberalisierung, aber altes Staatsbahndenken?
Liberalisierung, aber altes Staatsbahndenken?(c) Die Presse/Clemens Fabry
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Jon Worth hat versucht, alle EU-internen Grenzen per Zug zu überqueren. Sein Fazit: Die EU-Verkehrspolitik liebt Hochgeschwindigkeitszüge – auf Kosten der Nöte täglicher Pendler.

An einem heißen Sonntagnachmittag Ende Juli, auf der Brücke über die Donau, die vom rumänischen Calafat zum bulgarischen Vidin führt, hat sich Jon Worth die unvermeidliche Frage gestellt: Was genau mache ich hier? Zug verpasst, Taxi genommen, dann Reifenplatzer beim Klapprad, das er auf seiner monatelangen Reise quer durch Europa stets mithatte. Es gibt lustigere Sommererlebnisse als dieses, das der 42-jährige Brite im Rahmen seiner EU Borders Rail Tour über sich ergehen lassen musste.

Alles begann während der Pandemie, erzählt Worth im Gespräch mit der „Presse“. Dem Kommunikationsberater und Pro-EU-Aktivisten, der früher Wahlkampf für britische Labour-Politikerinnen führte, gegen den Brexit kämpfte, später nach Berlin zog und sich den deutschen Grünen anschloss, fiel der Bericht „Missing Links“ des früheren niederländischen liberalen Europaabgeordneten Michiel Scheffer von 2017 in die Hände. Er listete 15 innereuropäische Bahnverbindungen auf, die billig wiederbelebt werden könnten. „Meine ursprüngliche Idee war, diese 15 Orte abzufahren und sie mir anzuschauen“, sagt Worth. Doch schnell stellte er während seiner Reiseplanungen fest: „Gut die Hälfte der Linien auf dieser Liste sind unwiederbringlich verloren.“ So sei die Idee der EU Borders Rail Tour entstanden, erklärt Worth: „Ich wollte alle EU-Binnengrenzen mit dem Zug abfahren.“

26.611 Kilometer mit dem Zug

Sein Fazit nach rund zwei Monaten, mehr als 354 Stunden Nettofahrzeit und 26.611 zurückgelegten Kilometern: „In vielen Staaten gibt es eine komische Politik: eine Liberalisierung, aber altes Staatsbahndenken.“ Zudem diagnostiziert Worth eine problematische Präferenz vieler Verkehrspolitiker für Hochgeschwindigkeitslinien – während sie zugleich den lokalen Grenzpendlerverkehr verkümmern lassen. Allen voran in Frankreich und Spanien sei das zu beobachten: „In Frankreich baut man das Bahnnetz für Leute, die außerhalb von Paris wohnen und ein Auto haben.“ Ähnlich ist die Lage in Spanien, wie „Die Presse“ in Andalusien gesehen hat: Dort steht im Nirgendwo die EU-geförderte Schnellzugstation Antequera. Wer beispielsweise von Málaga in den touristisch reizvollen Ort Ronda will, muss hier umsteigen – in eine Diesellok, die zwei Mal am Tag fährt. Der letzte Bus nach Málaga verlässt Ronda um 18.30 Uhr: Zug gibt es da keinen mehr. Und selbst, wo Hochgeschwindigkeitsverbindungen über Grenzen verlaufen, sind sie oft keine Lösung für den Alltag: „Von Perpignan nach Nordkatalonien gibt es traumhafte Infrastruktur, man kann mit 300 km/h fahren – aber es gibt nur vier Züge pro Tag.“

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