Quergeschrieben

„Das Ziel ist nichts, die Bewegung ist alles“

An die Stelle der alten totalitären Ideologien von links und rechts sind neue abstruse Utopien getreten. Und der lange Marsch geht weiter.

Unter den 22 Abgeordneten der Gironde, die am 31. Oktober 1793 enthauptet wurden, befand sich der Anwalt Pierre Vergniaud. Seine letzten Worte lauteten: „Die Revolution, gleich Saturn, frisst ihre eigenen Kinder.“ Seit Georg Büchner diesen Satz Danton in den Mund legte, wurde er unzählige Male wiederholt. Er ist zweifellos richtig, aber unvollständig. Denn bevor Revolutionen ihre Kinder fressen, vernichten sie die, die sich ihnen in den Weg stellen. Zuerst wurden die Aristokraten guillotiniert, dann die Girondisten.

Alle Revolutionen sind ihrem Wesen nach Religionskriege. Sie versprechen ein Paradies auf Erden, das ihnen jedes Opfer wert ist, vor allem das ihrer Gegner. Die Methoden, die Strategie und die ideologischen Rechtfertigungen können sich ändern, die ursprünglichen Ziele können in Vergessenheit geraten und durch neue ersetzt werden, aber der lange Marsch geht weiter, weil gar nicht genug Unheil angerichtet werden kann, um die Welt so perfekt zu machen, wie die Revolutionäre sie gern hätten. Auf ihrem Weg reißen sie nieder, was ihnen ungerecht, unvernünftig oder unvollkommen erscheint. Das Ziel sei nichts, schrieb der Sozialdemokrat Eduard Bernstein (1850–1932), „die Bewegung ist alles“.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.