Festnahmen

Weitere Beschuldigte nach deutscher "Reichsbürger"-Razzia erwartet

Razzia gegen Reichsbuerger-Szene - Saaldorf in Thueringen
Razzia gegen Reichsbuerger-Szene - Saaldorf in ThueringenAPA/dpa/Bodo Schackow
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Sicherheitsbehörden sind überzeugt: Die Umsturzpläne waren ernsthaft und fortgeschritten. Weitere Durchsuchungen könnten folgen.

Die deutschen Sicherheitsbehörden rechnen nach der Großrazzia in der "Reichsbürger"-Szene mit weiteren Beschuldigten und Durchsuchungen. Am Mittwoch waren bei einem der größten Polizeieinsätze gegen Extremisten - auch in Österreich und Italien - 25 Menschen wegen Umsturzplänen festgenommen worden; aktuell gibt es 54 Beschuldigte. Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt (BKA) sowie der Generalbundesanwalt zeigten sich überzeugt von der Ernsthaftigkeit der Umsturzpläne.

Die Bundesanwaltschaft hatte am Mittwoch in elf deutschen Bundesländern sowie in Italien und Österreich 25 Menschen festnehmen lassen; mit Ausnahme einer Russin waren alle deutsche Staatsbürger. 22 von ihnen wirft sie vor, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, die das politische System in Deutschland stürzen wollte. Bei 19 Verdächtigen wurden die Haftbefehle bis zum Abend vollzogen, sie befinden sich somit in Untersuchungshaft. Bei weiteren könnte dies am Donnerstag geschehen.

54 Beschuldigte, 150 Durchsuchungen

Laut BKA-Präsident Holger Münch gibt es mittlerweile 54 Beschuldigte. Bei dem Großeinsatz von rund 3000 Beamten seien mehr als 150 Durchsuchungen durchgeführt worden, bei rund 50 Objekten seien auch Waffen festgestellt worden. Münch ging von weiteren Beschuldigten und Durchsuchungen in den nächsten Tagen aus.

Die Festgenommenen stehen nach Angaben der Bundesanwaltschaft im Verdacht, eine terroristische Vereinigung gebildet zu haben, die mit Waffengewalt eine neue Regierung installieren wollte und auch Tote in Kauf genommen hätte. 22 der Festgenommenen sollen Mitglieder der Gruppierung sein. Der hessische Unternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß und ein Mann namens Rüdiger von P., der an der Spitze des "militärischen Arms" der Gruppierung stand, wurden als Rädelsführer genannt.

Festnahmen gab es auch in Kitzbühel und im italienischen Perugia. Nach Angaben des österreichischen Innenministeriums fanden in zwei Bundesländern Österreichs Durchsuchungen statt. Ein Sprecher der Innsbrucker Staatsanwaltschaft bestätigte, dass es im Zuge der Hausdurchsuchung in Kitzbühel - auf Basis eines Rechtshilfeansuchens - zu einer Festnahme gekommen sei. Binnen 48 Stunden müsse nun das Gericht entscheiden, ob der Verdächtige in Auslieferungshaft kommt. Nähere inhaltliche Angaben mache man aufgrund der Tatsache, dass es sich eben ein Rechtshilfeansuchen handle, nicht. Nahe Perugia (Umbrien) wurde ein deutscher Staatsbürger, der sich seit einiger Zeit in Italien aufhielt, aufgrund eines europäischen Haftbefehls in einem Hotel festgenommen.

Seit dem Frühjahr im Visier der Behörden

Laut Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang hatten die Sicherheitsbehörden die "Reichsbürger"-Gruppierung seit dem Frühjahr im Visier und einen recht klaren Überblick über deren Entwicklung und Pläne. Die Planungen seien dann immer konkreter geworden und es seien Waffen beschafft worden, sagte Haldenwang in einem ZDF-"Spezial". Er betonte: "Die deutschen Sicherheitsbehörden insgesamt hatten die Lage jederzeit unter Kontrolle. Doch wenn es nach dieser Gruppe gegangen wäre, dann war diese Gefahr schon recht real."

Die Verdächtigen

Prinz Reuß soll Vorsitzender des zentralen Gremiums der Gruppe ("Rat") gewesen sein und im Fall des Umsturzes als "zukünftiges Staatsoberhaupt" gegolten haben. "Die Mitglieder des "Rates" haben sich seit November 2021 regelmäßig im Verborgenen getroffen, um die angestrebte Machtübernahme in Deutschland und den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu planen", hieß es vonseiten der Bundesanwaltschaft. Der 71-Jährige soll auch versucht haben, über die ebenfalls festgenommene Russin Witalia B. Kontakt zu Vertretern der Russischen Föderation aufzunehmen. Moskau bezeichnete am Mittwoch den Fall als "inneres Problem der BRD".

Weil sich nach Angaben des deutschen Verteidigungsministeriums unter den Verdächtigen auch insgesamt drei Soldaten befinden, wird sich auch der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages mit der Großrazzia befassen. Die Ausschussvorsitzende Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) sagte dem "Tagesspiegel", sie habe das Thema in der kommenden Sitzung auf die Tagesordnung gesetzt. "Wir werden diese braune Suppe austrocknen", sagte Strack-Zimmermann.

Bei einer Festgenommenen handelt es sich um eine Berliner Richterin und frühere Bundestagsabgeordnete der rechtspopulistischen deutschen Partei AfD. Sie saß von 2017 bis 2021 im Bundestag, im März 2022 kehrte sie in den Richterdienst zurück. Die Parteispitze der AfD distanzierte sich am Mittwoch in einer Erklärung von der Ex-Abgeordneten: "Wir verurteilen solche Bestrebungen und lehnen diese nachdrücklich ab", hieß es vonseiten der Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel.

BKA-Chef Münch sagte, man habe nicht bis zum letzten Moment warten, sondern genug Beweise sammeln wollen, dass es sich um eine terroristische Vereinigung handle. Über den Zeitpunkt des offenkundig geplanten Umsturzes gebe es noch keine Klarheit. Der BKA-Präsident verwies aber auf einen "Rat", der Beschlüsse treffe, und einen militärischen Arm, der auch Waffen beschaffe. "Da warten sie nicht bis zum letzten Augenblick. Sondern, wenn das dann klar ist, dann heißt es auch: Zuschlagen."

Generalbundesanwalt Peter Frank verteidigte den Zeitpunkt der Razzien ebenfalls. Innerhalb der Vereinigung habe es Diskussionen gegeben, ob bestimmte Anlässe von außen nicht Grund zum Losschlagen hätten sein können, sagte Frank in einem ARD-"Brennpunkt". "Wir gehen davon aus, dass die Personen in der Vereinigung fest entschlossen waren und auch sicher waren, etwas zu tun", betonte er. Es sei richtig gewesen, jetzt im Dezember zuzugreifen und der Vereinigung ein Ende zu bereiten.

An der Gefährlichkeit der Gruppierung hegt auch der Terrorismusexperte Peter Neumann keine Zweifel. Von sogenannten Reichsbürgern gehe die größte Gefahr terroristischer Gewalt aus, sagte Neumann dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Dienstag). "Sie sind fähig und willig, schwere Terroranschläge gegen den Staat zu verüben", warnte er. "Sie formulieren am deutlichsten Widerstandsnarrative und behaupten, Recht und Legitimation zu besitzen, um gegen den Staat bewaffneten Widerstand zu leisten", sagte der Experte.

Gruppierung nicht unterschätzen

Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnte ebenfalls davor, die Gruppierung zu unterschätzen. Was sie so gefährlich mache, sei, "dass es einen militärischen Arm davon gab. Mit Menschen, die früher in der Bundeswehr waren, also auch mit Waffen umgehen können", sagte die SPD-Politikerin in der ARD-Sendung "Maischberger". Bei Behörden, die mit Waffen zu tun haben, etwa bei Bundeswehr oder Bundespolizei, müsse man "noch mal genauer hingucken", sagte sie. Verfassungsschutzpräsident Haldenwang sprach sich in den ARD-"Tagesthemen" für einen Sicherheitscheck aus, den alle Personen durchlaufen sollten, die in die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern aufgenommen werden.

Aus Sicht der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus engagiert, wurde die "Reichsbürger"-Szene zu lange unterschätzt. Es habe in den vergangenen Jahren immer wieder deutliche Zeichen dafür gegeben, dass die Anhänger gewaltbereit seien und offenbar auch organisiert, sagte der für die Stiftung arbeitende Extremismusforscher Lorenz Blumenthaler der Deutschen Presse-Agentur. "Aber gerade in Sicherheitskreisen wurden die Gruppierungen oft verlacht und ihr enormes Gefahrenpotenzial trotz intensiver Warnungen der Zivilgesellschaft auf die leichte Schulter genommen." Spätestens seit den vereitelten Plänen zur Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach im April stehe das Thema aber auch in der Politik weit oben auf der Agenda, sagte Blumenthaler. "Da lacht heute eigentlich keiner mehr."

Qas sind "Reichsbürger"?

Die US-Regierung hat der deutschen Regierung nach der Razzia gegen die Reichsbürgerszene Unterstützung angeboten. "Wir bleiben in engem Kontakt mit unseren Partnern in der Regierung und stehen bereit, um zu helfen, wenn wir darum gebeten werden", entgegnete die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, am Mittwoch auf die Frage, ob die USA Deutschland zum Beispiel Geheimdienstinformationen in dieser Angelegenheit anbieten. Man begrüße die Sorgfalt der deutschen Regierung und ihrer Strafverfolgungsbehörden im Kampf "gegen gewalttätigen Extremismus" und für die "Sicherheit ihrer Bürger und Regierungseinrichtungen"."Reichsbürger" sind Menschen, die die Bundesrepublik Deutschland, ihre Institutionen und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Sie weigern sich oft, Steuern zu zahlen oder Geldstrafen zu begleichen. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene mittlerweile mehr als 21.000 Anhänger zu. Ähnliche Bewegungen gibt es in mehreren Ländern, in Österreich sind sie als "Staatsverweigerer" bekannt.

(APA/DPA)

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