Popkritik

Voodoo Jürgens machte das Konzerthaus zum Tschocherl

Konzerthaus/Andrea Humer
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Am Friedhof, im Puff, im Boxring: Voodoo Jürgens begeisterte im Wiener Konzerthaus mit minutiösen Milieustudien.

Die Herrschaften von der Ansa Panier standen schon leicht beamtenhaft auf der Bühne und befingerten leicht nervös wdie jeweiligen Instrumente. Aber da kam er schon, der Chef. Kunstvoll torkelnd erreichte Voodoo Jürgens gerade rechtzeitig zum Anfangsinstrumental die Bühnenkante. Mit einem Glaserl G´spritzen in der Hand dirigierte Voodoo sein Publikum zur ersten emotionalen Wallung.

Ein ausverkauftes Konzerthaus, noch dazu mit Stehparkett, wer hätte das gedacht vor einigen Jahren? Immerhin ist er, der heute der beste Darsteller des Wienerischen im Popbereich ist, ein gebürtiger Tullner. Als Freizeitwiener studierte er die dialektalen Sprachbilder intensiver als die meisten Hiesigen. Zudem war ein leidenschaftlicher Nachtwanderer, der in der abgeschabten Halbwelt von Wien sein Wunderland fand, das seither für dauerhafte Inspiration sorgt.

An diesem Abend galt es das dritte, bislang musikalisch überzeugendste Voodoo-Jürgens-Album zu präsentieren. Es heißt „Wie die Nocht Noch Jung Wor“ und ist von köstlicher, circensischer Anmutung. Die Ziehharmonika im Line-up ist Geschichte. Stattdessen dominieren nun Blasinstrumente, Harmonium, Geige und Kontrabass. In seiner verwackelten Anmutung erinnert der neue Sound an Tom Waits und die Tiger Lillies. „Wien bei Nacht“ war der ideale Opener für einen Künstler, der mit Second-Hand-Ware frische Geschichten erzählt. Im ersten Szenario hing die Mondsichel schief am Nachthimmel, die Wirtshäuser waren voll mit vom Leben Geschundenen, die nach ein wenig Erlösung lechzten. Sei es auch nur jene, die via Alkohol und Nikotin für kurzes, seelisches Verschnaufen sorgt. „Und die G´schamigen wean locka und die Nosnspitzn rot.“ sang Voodoo und wagte ein wildes Tänzchen, das seinen speckigen Siebzigerjahre-Anzug mit den Glockenhosen gut durchlüftete.

„Hoiber Preis“ war dann der Titel eines Liedes von doppeltem Wert. „Hereinspaziert die jungen Damen!“ raunte er in Ausrufermanier und unterwies in Geheimwissen à la „Schauen tuat ma ned mit die Augn“. Das tut der als David Öllerer in Tulln geborene Voodoo Jürgens selbst nämlich auch nicht. Er schaut mit seiner Seele. Nie bleibt er in seinen Liedern am Äußeren hängen, auch wenn er es oft minutiös beschreibt. Stets geht es um Empathie mit jenen, die seine Lieder bevölkern. Und so glücken ihm immer wieder poetische Lieder, die von Liebe nur so vibrieren. Wie das hintergründig groovende „Federkleid“, wo sich „ollas in da Blia“ präsentiert.

Tschick im Mund, Glas auf dem Boden

Frohgemut zelebrierten Voodoo und die Ansa Panier 100 Minuten lang alte und neue Hits. „Zuckerbäcker“, „Weida is gscheida“ und „Twist“ rumpelten höchst charmant. Mit heißen Ohren folgten die Besucher dem Voodoo ins Puff („Stöckelschuach“), auf den Friedhof („Heite grob ma Tote aus“), zum Spielautomaten („S´klane Glückspiel“) und in den Boxring („Hansi da Boxer“). Jetzt zündete er sich, feuerpolizeilich unkorrekt, gar einen Tschick an. Das Spritzwein-Glasl lag da schon umgeschüttet am Bühnenboden. Hehres Konzerthaus hin oder her, es ist, wie es ist: Wo immer Voodoo Jürgens weilt, herrschen die Gesetze des Tschocherls. Oder sagt man Tschecherl?

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