Die Entscheidung des Wiener Gesundheitsverbunds, Patienten aus den Bundesländern abzuweisen, sofern es sich bei ihnen um keine Notfälle handelt, käme einer Kapitulation vor dem aktuellen Personalmangel gleich. Stadtrat Peter Hacker solle „sein Versagen eingestehen“.
„Die Anordnung des Wiener Gesundheitsverbunds, Patienten aus den Bundesländern abzuweisen, ist eine Kapitulation der Stadt vor dem aktuellen Personalmangel in Wiens Spitälern“, sagt Stefan Ferenci, Obmann der Kurie der angestellten Ärzte und Vizepräsident der Ärztekammer für Wien.
„Dass das rote Wien in einer Gesundheitskrise auf Entsolidarisierung setzt, ist eine Enttäuschung. Es kann nicht sein, dass Patienten die Leidtragenden des Versagens der Wiener Gesundheitspolitik sind und Finanzstreitigkeiten der Länder auf dem Rücken von Patienten und Ärzten ausgetragen werden.“
Anstatt Leistungen einzuschränken, solle die Stadt Initiativen setzen, um das Personal zu halten bzw. zurückzuholen. Es sei an der Zeit, dass Stadtrat Peter Hacker (SPÖ, Anm.) „endlich seine Schmutzkübelkampagne gegen die Wiener Ärztekammer beendet, sein Versagen eingesteht und mit uns an Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung arbeitet“.
Auch die Wiener FPÖ ortete am Freitag einen „untragbaren Zustand". Wien müsse jetzt „unter Hochdruck" alles daran setzen, eine Aufstockung des medizinischen Personals zu erreichen, damit das marode Gesundheitssystem nicht vollends zusammenbreche, fordert Gesundheitssprecher Wolfgang Seidl.
Aufnahme nur im Notfall
Hintergrund der Attacke gegen die Stadtregierung ist, dass die Wiener Spitäler angewiesen wurden, Patienten ohne Hauptwohnsitz in Wien nur dann zu behandeln, wenn es sich um einen Notfall handelt oder wenn für die Behandlung die hoch spezialisierte Infrastruktur der Wiener Spitäler notwendig ist. „Die Presse“ berichtete am Freitag. Hintergrund dieser Entscheidung sind zunehmende Engpässe in den Krankenhäusern.
Der Wiener Gesundheitsverbund verzeichnet laut eigenen Angaben durchschnittlich rund 20 Prozent Gastpatienten. In manchen Bereichen seien es sogar mehr. „Angesichts dieser Zahlen entfernen wir uns immer mehr von unserem Auftrag", sagt Evelyn Kölldorfer-Leitgeb, Generaldirektorin des Gesundheitsverbundes.
20 Prozent seien 700 Patientinnen und Patienten pro Tag, rechnet Michael Binder vor, medizinischer Direktor des Wiener Gesundheitsverbundes. „Wir freuen uns, dass unsere Expertise auch in den Bundesländern so geschätzt wird. Doch auch die Kliniken in Niederösterreich oder im Burgenland bieten erstklassige medizinische Leistungen an", sagt er. Jeder, der in der Bundeshauptstadt akut medizinische Hilfe benötigte, werde diese auch bekommen. Notfallbehandlungen - etwa bei einem Herzinfarkt - würden „natürlich weiterhin durchgeführt". Bei planbaren Behandlungen und Eingriffen sei dagegen ein wohnortnahes Krankenhaus für die Behandlung vorzuziehen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2022)