Kohle

Das schwarze Gold heizt wieder Europas Stuben

Sie kennt man nur mehr aus Geschichtsbüchern – die Kohle ist allerdings heute wieder en vogue.
Sie kennt man nur mehr aus Geschichtsbüchern – die Kohle ist allerdings heute wieder en vogue.ullstein bild via Getty Images
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Sie stand an der Wiege der EU, nun ist sie Symbol für die paradoxen Zwänge von Krieg und Energiewende.

Das Vermächtnis der Kohle prägt das Antlitz von Europas Hauptstadt. Entlang jeder Straße Brüssels, die vor dem Jahr 1900 mit Gründerzeitbauten bepflanzt wurde, säumen die Öffnungen der Kohlenkeller die Wege des Flaneurs. 82 Prozent des gesamten Brennstoffbedarfs Belgiens wurden Anfang der 1950er-Jahre vom schwarzen Gold gedeckt, hielt der britisch-belgische Historiker Tony Judt in seinem Buch „Postwar“ fest. Alte Brüsseler erinnern sich nicht nur daran, dass es damals noch Kohlenhändler in allen Vierteln der Stadt gab, sondern dass sie mehrere Sorten zum Verkauf anpriesen. Die meiste Kohle kam aus den Gruben in den Provinzen Limburg, an der nordöstlichen Grenze zu den Niederlanden, und Hainaut, am gegenüberliegenden südwestlichen Rand des Königreichs. Die hohen Plafonds der prachtvollen Bürgerhäuser geben heute noch Zeugnis davon ab, wie niedrig die Heizkosten damals waren – und wie wenig man sich um Energieeffizienz und Fassadendämmung zu kümmern brauchte (vom Klimaschutz gar nicht zu reden).

Schwerpunkt: Sehnsucht nach Wärme. Wärme ist mehr als nur Temperatur – ein vorweihnachtlicher Blick auf ein Phänomen zwischen sozialem Zusammenhalt, explodierenden Energiepreisen und dem Wunsch nach Geborgenheit im Advent.

83 Prozent der Energie aus Kohle

All das ist Vergangenheit. In Brüssels Kohlenkellern lagert heute kein Brennstoff mehr. Sie werden als lichtarme Apartments an Studenten, Praktikanten und arme Immigranten vermietet, dienen als Weinkeller, Fitnessstudios. Die Kohle hatte schon damals, als die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) die beiden kriegswichtigen Güter vergemeinschaftete und damit für dauerhaften Frieden zwischen den einstigen Erbfeinden Frankreich und Deutschland sorgte, ihren Zenit überschritten. Was die Basis der europäischen Einigung war, verschwand nach und nach in die Obsoleszenz. Im Jahr 1950, also kurz vor der Gründung der EGKS, deckten Kohle und Koks 83 Prozent des westeuropäischen Brennstoffverbrauchs. Erdöl machte nur 8,5 Prozent aus. 20 Jahre später standen Kohle und Koks für 29 Prozent, Erdöl hingegen für 60 Prozent. Die erstmalige Anlandung von Erdgas in Zeebrugge im Jahr 1967 versetzte dem schwarzen Gold den Todesstoß. Was von der ohnehin maroden belgischen Schwerindustrie noch übrig war, stellte auf Erdgas um. Die Wohnungen der Belgier wurden fortan mehrheitlich mit Gas und Heizöl gewärmt.

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