Der Loreley-Felsen war bei Besuchern aus dem Ausland immer beliebt. Zur Nazi-Zeit ließen sich viele auch von dem Sirenengesang des Faschismus verführen.
Literatur

Reisen wir doch einmal zu diesem Hitler!

Wie haben Fremde das Dritte Reich erlebt? Ein Kurztrip mit der Warnerin Dorothy Thompson, dem Ignoranten Max Frisch, dem Feldforscher Samuel Beckett und dem erotisch faszinierten Kollaborateur Marcel Jouhandeau.

Wie führt man ein Interview mit Hitler? Die Amerikanerin Dorothy Thompson, Korrespondentin in Berlin, musste vorab drei Fragen einreichen. Als sie dann 1931 mit dem Noch-nicht-Führer zusammentraf, deklamierte er sie so lautstark nieder, als hielte er eine Rede vor seinen Anhängern. Alle Versuche, ihn zu unterbrechen, blieben erfolglos. Statt dieses Nichtinterview zu veröffentlichen, schrieb Thompson Reportagen und Essays über die Begegnung. Ihr Eindruck damals: ein lächerlicher, nerviger Wichtigtuer, der die Niederlage im Krieg nicht verwunden und aus narzisstischer Kränkung seine nazistische Partei gegründet hat. So einer wird doch nie Diktator in Deutschland! Zu spät musste sie erkennen: Gerade weil niemand ernsthaft mit Hitler gerechnet hatte, kam er an die Macht. Darin lag ein Geheimnis seines Erfolgs – ähnlich wie heute bei Trump.

Mit Oliver Lubrich ein Interview zu führen, ist weit angenehmer. Der deutsche Literaturwissenschaftler forscht an der Uni Bern über Reisen ins Dritte Reich. Für dieses Langzeitprojekt gräbt er schriftliche Zeugnisse von Literaten und Prominenten aus, die Nazideutschland mit dem Blick von außen sahen. Das typische Muster? „Viele ließen sich blenden, aber in der Regel nur für kurze Zeit. Schon im Verlauf ihrer Reise erkannten sie ihre Irrtümer.“ Zuweilen „wechseln sich auch Blindheit und Einsicht ab“, wie in den Tagebüchern des Studenten John F. Kennedy. Später waren solche Notate allen peinlich: Für Franzosen, Briten oder Amerikaner, weil sie zeigten, dass sich auch ihre Landsleute für pittoreske Massenaufmärsche begeistert hatten. Und für Deutsche, weil diesen Fremden auch bei nur kurzem Aufenthalt Dinge aufgefallen waren, die sie selbst über ein Jahrzehnt lang nicht hatten sehen wollen. So gerieten die Quellen in Vergessenheit. Umso wertvoller sind sie heute.

Noch ein Fazit: „Große Literaten waren nicht hellsichtiger“, sie hatten meist kein besonderes Sensorium für die sich anbahnende Barbarei. Wie Max Frisch, der „damals noch kein Linker war“ und mit „Jürg Reinhart“ einen „eher reaktionären“ ersten Roman geschrieben hatte. Die „Neue Zürcher“ schickte ihn 1935 nach Deutschland, dort besuchte er eine rassistische, antisemitische Ausstellung über den „neuen Menschen“ – und fand nur lobende Worte. Freilich hat sich Frisch „bis zum Lebensende an seinem damaligen Versagen abgearbeitet“, als hätte es ihn „nachhaltig beschämt und traumatisiert“. Bei Jean-Paul Sartre war es wohl ähnlich: Der junge Phänomenologe verkroch sich 1933 in Berliner Bibliotheken, um seinen Meister Husserl zu studieren, und bekam die dramatischen Umbrüche offenbar kaum mit. Dass er sich nach dem Krieg mit seiner „littérature engagée“ und als marxistisches Weltgewissen so politisch überwach zeigte, lässt sich auch „als Reaktion darauf deuten, dass er im entscheidenden Moment nicht wach genug gewesen war“.

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