Kommentare zum Jahreswechsel

Die Glaskugel muss nicht immer recht haben

Vor uns liegt ein schwieriges Jahr. Wir können und sollten aber ruhig auch ein bisschen in die Wirtschaft vertrauen.

Ein Blick ins Archiv, und es relativiert sich einiges. Vor einem Jahr war an dieser Stelle ein Kommentar zu lesen, der sich mit der Pandemie und der damals neuen Omikron-Variante beschäftigte. Heute hätten wir gerne nur diese Sorgen. Es ist mit dem Ukrainekrieg bekanntlich anders gekommen. Und wie geht es jetzt weiter?

Wirtschaftsminister Martin Kocher meinte unlängst, er sei froh, dass er nicht mehr Wirtschaftsforscher ist und also keine Konjunkturprognosen machen müsse. Und sein einstiger Kollege, Christoph Badelt, zeigte sich neulich ebenfalls erleichtert. Badelt, nunmehr Präsident des Fiskalrats und somit oberster Schuldenwächter, ist froh, dass er in den nächsten Jahren mit Sicherheit nicht Finanzminister sein wird. Er wird also der österreichischen Bevölkerung nicht beibringen müssen, dass die hohen Ausgaben für Krisenhilfen nur mittels Steuererhöhungen finanziert werden können.

Lassen wir den beiden Herren ihre (berechtigte) Erleichterung. Aber was bleibt uns?

Uns bleibt zunächst einmal der realistische Blick auf das kommende Jahr: Der weltweite Konjunkturabschwung hat Österreich längst erfasst, schon im dritten Quartal des zu Ende gehenden Jahres sind Exporte und Wertschöpfung der Industrie geschrumpft. Energie ist wegen des Ukrainekriegs immens teuer geworden und belastet die Produktion zusätzlich, detto die empfindlich teurer gewordenen Vorprodukte. Wir werden also diesen Winter eine spürbare Konjunkturdelle erleben. Nicht wenige Ökonomen rechnen sogar mit einer Rezession. Auch wenn es im Lauf des Jahres 2023 wieder langsam bergauf gehen soll, wird unterm Strich nur ein Wachstum von 0,3 bis 0,4 Prozent bleiben.

Jetzt aber endlich zum Positiven. Bei der jüngsten Konjunkturprognose formulierte Wirtschaftsforscher Klaus Neusser so: „Wer hätte vor einem Dreivierteljahr, als die Schocks begonnen haben, gedacht, dass wir am Ende des Jahres so gut da stehen?“ Man kann ihm nur beipflichten: Österreichs Wirtschaft, von Kleinunternehmen bis hin zur Industrie, hat überhaupt in den vergangenen zwei Jahren Außerordentliches geleistet. Darauf können wir alle durchaus ein bisschen stolz sein, auch wenn es nicht unbedingt der „österreichischen Seele“ entspricht. Im ersten Pandemiejahr 2020, als unser Leben vom Stillstand geprägt war, ist die Wirtschaft zwar um 6,7 Prozent eingebrochen. Aber 2021 wurde wieder ein Wachstum von 4,6 Prozent geschafft. Und für das sehr schwierige 2022 wird mit einem Wachstum von immerhin 4,8 Prozent gerechnet.
Das ist nicht Nichts, wie der Österreicher gerne sagt. Ich behaupte: Es ist sogar beachtlich. Vor allem eingedenk der Tatsache, dass wir in wirtschaftlich höchst fordernden Zeiten leben, innenpolitische Krisen am laufenden Band erleben und die Wirtschaftspolitik in unserem schönen Land vor allem darin besteht, Krisenfeuerwehr zu spielen. Wirtschaftspolitische Akzente, die Zuversicht schaffen könnten, fehlen jedenfalls schmerzlich.

Ziehen wir also den Hut vor den Leistungen der Wirtschaft. Auch wenn das in Zeiten wie diesen, in denen die Spaltung des Landes nachgerade zelebriert wird, nicht gerade en vogue ist. Vertrauen wir auf die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft, versuchen wir doch einfach ein bisschen mehr Miteinander und weniger Gegeneinander. Es ist in unser aller Interesse.

Raus aus der Negativität – so sollte unsere Parole lauten. Und ja: Positives Denken kann auch die Wirtschaft beeinflussen. Wir blicken schwierigen Zeiten entgegen, machen wir sie nicht noch schwieriger. Das hätten wir uns alle verdient.

E-Mails an: hanna.kordik@diepresse.com


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