Apps gegen Ängste

Ängste mit Chatbots und Virtual Reality therapieren

(c) Marin Goleminov
  • Drucken

Ein neuer Partner via App, der Wocheneinkauf per Sprachbefehl und das Haus, das selbst mitdenkt. Neue Technologien verändern nicht nur unseren Alltag, sondern auch das Gesundheitswesen. In der Psychotherapie werden Chatbots und Virtual Reality bereits bei Angsterkrankungen angewendet. Können diese Angebote auch professionelle Hilfe ersetzen?

Angststörungen zählen neben Depressionen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Expertinnen und Experten schätzen, dass in Österreich zwischen 16 und 20 Prozent an einer behandlungsbedürftigen Angsterkrankung leiden. Eine genaue Statistik gibt es nicht. Auf vollfinanzierte Therapieplätze müssen Betroffene jedoch oft lang warten oder hohe Kosten für private Behandlungen aufbringen, da nicht alle Leistungen von den Krankenkassen übernommen werden. Zusätzlich sind Therapiebesuche für viele Menschen mit Stigmata behaftet. Betroffene meiden professionelle Hilfe, obwohl Angsterkrankungen meist schnell und effektiv behandelt werden können.

Angsterkrankungen behandeln, aber wie?

Angst ist eine normale Reaktion auf Bedrohungen. Sie versetzt den Körper in Alarmbereitschaft, um in Gefahrensituationen schnell reagieren zu können. Angstgefühle können sich aber auch unabhängig von real existierenden Gefahren entwickeln und zu einer anhaltenden Belastung werden. Oftmals werden bei Angsterkrankungen die Lebensqualität und der Alltag der Betroffenen stark eingeschränkt. Personen mit spezifischen Ängsten, beispielsweise einer Spinnenphobie, können etwa bestimmte Orte wie den Keller oder die Garage nicht mehr aufsuchen oder reagieren bereits bei einem Foto einer Spinne mit Angstsymptomen. Unbehandelt können Ängste Folgeerkrankungen wie eine Depression nach sich ziehen.

Die Konfrontationstherapie ist nach Johannes Rother, Psychologe bei Phobius, dem Zentrum für Angst, Panik und Phobien in Wien, die geeignetste Form für die Behandlung von Angsterkrankungen: „Generell geht es in der Konfrontationstherapie immer darum, aktiv zu werden. Patientinnen und Patienten lernen, das Vermeiden von angstauslösenden Situationen zu überwinden und die Kontrolle zurückzugewinnen.“ Neben der Aufklärung von körperlichen und psychischen Vorgängen und dem Erlernen von Entspannungstechniken üben Betroffene in der Therapie, ihre Ängste auszuhalten. Im Fall einer Spinnenphobie geschieht dies zunächst mit dem Ansehen und Aushalten von Bildern einer Spinne. Später folgt eine räumliche Annäherung an ein lebendes Tier. Aber nicht immer lässt sich eine reale Konfrontation im Therapiealltag umsetzen. Hier kann der Einsatz von Virtual Reality (VR) helfen.

Reale Ängste virtuell überwinden

Egal, ob Spinnen, Schlangen oder Nadeln – in einer computergenerierten 3-D-Simulation, in die Nutzerinnen und Nutzer mithilfe einer VR-Brille eintauchen, können nahezu alle Ängste nachgestellt werden. Bereits seit den 1990er-Jahren werden Behandlungen von Angsterkrankungen mittels virtueller Realitäten erforscht. 1997 wurde in einem Fallbericht der Universität Washington erstmals die Wirksamkeit von VR bei der Behandlung einer Spinnenphobie nachgewiesen. Spätere Studien bestätigen, dass die virtuelle Konfrontation mit Objekten oder Situationen, die Angst auslösen, vergleichbare Effekte wie die reale Konfrontation erzielt. Die Meta-Analyse von Psychologe Nexhmedin Morina und seinem Team, in der 14 Studien verglichen wurden, zeigt, dass der Lernerfolg, den Patientinnen und Patienten in der virtuellen Welt erlangen, auch in der Realität nachgewiesen werden kann.

Das Therapiezentrum Phobius hat sich auf die Behandlung von Angststörungen mit virtueller Realität spezialisiert. Mittels VR-Simulationen können bei einer Angst vor dem Fliegen beispielsweise Flugsituationen nachempfunden werden, ohne wöchentlich eine Flugreise antreten zu müssen. Die designte Umgebung lässt sich flexibel auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten anpassen. „Für manche Klientinnen und Klienten können reale Konfrontationen zunächst zu herausfordernd sein. In einer virtuellen Umgebung können wir angstauslösende Situationen aber sehr gut kontrollieren“, sagt Rother.

Die virtuelle Konfrontationstherapie lässt sich nicht nur bei Phobien, sondern auch bei Panikstörungen anwenden. „Wenn Panikattacken in bestimmten Situationen häufiger auftreten, können wir mit den Patientinnen und Patienten Hyperventilierungsübungen machen und dann mittels Virtual Reality beispielsweise in eine Fahrstuhlumgebung gehen“, erklärt Rother. Der Umgang mit einer Panikattacke lässt sich somit einfach erproben. Dennoch hat auch der Einsatz von VR seine Grenzen. Übermäßig auftretende Ängste und Sorgen, die den Alltag bestimmen, lassen sich in der virtuellen Realität nicht simulieren.

Chatten gegen Ängste und Sorgen

Zitternd, schwitzend und mit pochendem Herzen sitzt Katharina in der U-Bahn. Sie ist auf dem Weg in die FH. Tausend Gedanken schießen ihr durch den Kopf. Die 24-Jährige, die anonym bleiben möchte, hat am Vortag den ganzen Tag gearbeitet. Um sich auf die Lehrveranstaltung vorzubereiten, blieb keine Zeit. Katharina könnte drangenommen werden, nichts wissen und negativ beurteilt werden. Sie könnte den Raum, in dem sie noch nie Unterricht hatte, nicht finden und die Anwesenheitspflicht unterschreiten. Am liebsten würde Katharina wieder umdrehen und sich im Bett verkriechen. Doch stattdessen öffnet sie den Chatbot Woebot auf ihrem Smartphone.

Katharina hat während der Corona-Pandemie eine generalisierte Angststörung entwickelt. In ihrem Alltag drehen sich ihre Gedanken regelmäßig um ihre berufliche Ausbildung und den damit verbundenen Leistungsdruck. Katharina ist damit nicht allein. Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge sind die Fälle von Angsterkrankungen und Depressionen in der Pandemie um ein Viertel gestiegen. In Österreich leiden laut einer Studie, die in der Fachzeitschrift „Sleep Medicine“ erschienen ist, mehr als 20 Prozent an unspezifischen Ängsten und Sorgen.

Um den anhaltenden Stress am Arbeitsplatz und im Studium bewältigen zu können, hat Katharina bereits vor einem Jahr eine Psychologin aufgesucht. In der Therapie spricht sie auch erstmals über ihre Ängste. Den Chatbot entdeckt die 24-Jährige einige Monate später auf Social Media. Seitdem nutzt sie die App als Ergänzung zur Gesprächstherapie. Dass der Bot diese nicht ersetzen kann, weiß Katharina. In manchen Situationen hilft er trotzdem: „Es gibt Tage, an denen es mir nicht gut geht, meine nächste Therapiestunde aber erst in der kommenden Woche stattfindet. Die App hilft mir dann, aus meinem Gedankenkarussell herauszukommen.“

Der KI-Therapeut „Woebot“ ist Tag und Nacht erreichbar. Als Ersatz für professionelle Hilfe ist er jedoch nicht geeignet.
Der KI-Therapeut „Woebot“ ist Tag und Nacht erreichbar. Als Ersatz für professionelle Hilfe ist er jedoch nicht geeignet.Lisa Eckerstorfer

„Wie geht es dir gerade?“ Die Woebot-App erkundigt sich täglich nach dem Befinden der Nutzerinnen und Nutzer. Der Chat kann aber auch unabhängig davon gestartet werden, etwa wenn die Sorgen zu groß werden oder sich eine Panikattacke anbahnt. Der Chatbot stellt konkrete Fragen zu aktuellen Gefühlen und Problemen und begleitet die Nutzerinnen und Nutzer durch angstauslösende oder depressive Situationen. Auf die Fragen von Woebot gibt es vorgefertigte Antwortmöglichkeiten, manche Gedanken müssen selbstständig eingetippt werden.

Psychologinnen und Psychologen der Universität Stanford in Kalifornien haben den Bot programmiert, um Menschen mit psychischen Erkrankungen niederschwellig Hilfe zu bieten. Der Bot liefert mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) Anregungen und Tipps, die die Gefühlslage der Nutzerinnen und Nutzer verbessern sollen. Derzeit ist die App nur auf Englisch verfügbar. Auf Deutsch chatten lässt sich mit der App Stresscoach. Ähnlich wie Woebot liefert der Stresscoach Ratschläge zur Überwindung von Krisen und bietet bei Bedarf Meditationsübungen und Atemtechniken an. Doch nicht alle Lektionen der App Stresscoach sind kostenlos. Um diese nutzen zu können, muss ein Jahresabo abgeschlossen werden.

Die Wirksamkeit von Chatbots bestätigt eine Studie, die im „Journal of Medical Internet Research Mental Health“ veröffentlicht wurde. Gegenstand der Studie ist die App Woebot. Teilnehmenden, die unter Angstzuständen litten, ging es nach der Nutzung besser als jenen, die ein E-Book mit Strategien zur Selbsthilfe erhalten hatten. Auch Claudia Stelzel-Drexler, klinische Psychologin und Leiterin der Arbeitsgruppe Digitalisierung und E-Mental-Health im Berufsverband der österreichischen Psychologinnen und Psychologen (BÖP), sieht Vorteile in der Anwendung von künstlicher Intelligenz bei der Therapie von Angsterkrankungen: „Patientinnen und Patienten, die zum Beispiel unter sozialen Ängsten leiden, können mit Chatbots oft besser kommunizieren als mit Menschen, da Bots keine Erwartungshaltung an sie haben.“ Gleichzeitig betont Stelzel-Drexler, dass Chatbots keinesfalls als Alternative zur Therapie verwendet werden sollen. Programme, die auf künstlicher Intelligenz basieren, können zwischenmenschliche Beziehungen nicht ersetzen. Komplexe Fragen und Probleme sind für Bots ebenfalls nicht lösbar.

Selbsthilfe-Programme mit Vorsicht genießen

Digitale Angebote sollten nicht zur Selbsttherapie verwendet werden, auch wenn sie zum Teil frei oder kostengünstig am Smartphone abrufbar sind. Stelzel-Drexler erwähnt in diesem Zusammenhang das sogenannte Blended-Care-Verfahren, bei dem digitale Anwendungen in die Therapie eingebunden werden: „Welche App oder welches Online-Trainingsprogramm für einen Patienten geeignet ist, ist sehr individuell und muss von dem zuständigen Therapeuten entschieden werden. Erst dann ist der Nutzen für die Gesundheit der Patientinnen und Patienten sichergestellt.“

Auch Psychologe Rother ist der Meinung, dass Apps eine sinnvolle Ergänzung, jedoch kein Ersatz für die Therapie sein können: „Angstbehandlungen sind mit sehr viel Widerstand verknüpft. Wenn wir zum Beispiel mit Hausaufgaben arbeiten, werden diese mehr schlecht als rechte erledigt. Bei Apps sehe ich die Motivation der Betroffenen ähnlich hoch.“ Gamifizierte Apps, die mit gezielten Anreizen zum Üben motivieren, könnten in Zukunft helfen, eine Versorgung vieler Betroffener in Kombination mit therapeutischer Begleitung sicherzustellen.

Apps „auf Rezept“ in Österreich noch nicht erhältlich

Während in Österreich Virtual Reality immer mehr in die psychotherapeutische Versorgung von Angsterkrankungen integriert wird, fehlen für verschreibungspflichtige Apps und Onlineprogramme entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen. In Deutschland vereinfacht das Digitale-Versorgung-Gesetz den Zugang zu digitalen Gesundheitslösungen. Seit Oktober 2020 können zertifizierte digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) wie Apps „auf Rezept“ verschrieben und bei den Krankenkassen abgerechnet werden.

Bis in Österreich Apps verschrieben werden können, möchte die Arbeitsgruppe Digitalisierung und E-Mental-Health für eine Aufstellung vertrauenswürdiger Apps und Onlineprogramme, die internationalen Standards entsprechen, sorgen. Nach Stelzel-Drexler ist es notwendig, dass Gesundheit-Apps Datenschutzrichtlinien befolgen, keine Werbung beinhalten und gemeinsam mit Psychologinnen und Ärzten entwickelt und wissenschaftlich überprüft werden.

Mehr erfahren

Kassenplätze

Psychotherapie und die Sache mit dem Geld

Generation Therapie

Gibt es die "Generation Therapie"?

Mentaler Absturz

Vorhang auf für Depression

Kältetherapie

Was Kältetherapie wirklich bringt

Geschichte der Therapie…

Narrenturm und rotes Sofa: Der lange Weg zur Psychotherapie

Kunsttherapie

Wenn die Worte ausgehen: Kunst als Therapieform

Gender Health Gap

Wie sich der Gender Health Gap bei ADHS zeigt


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.